Wer bin ich ohne dich
unter diesen Umständen ein Kraftakt, der bis an die Grenzen der Belastbarkeit führt, wie der Fall einer pflegenden Tochter zeigt.
Meine Mutter ist nach einem Schlaganfall dement geworden und nun extrem hilfsbedürftig. Sie kann nicht mehr selbstständig essen, ist inkontinent und zudem sehr verängstigt. Ich habe sie vor 5 Jahren zu uns ins Haus geholt. Meine Tochter, sie ist 14, unterstützt mich oft. Aber ich will ihr das alles nicht zumuten. Inzwischen denke ich immer mal wieder | 101 | darüber nach, meine Mutter doch ins Heim zu tun. Denn die Verantwortung, die ich übernommen habe, ist ziemlich groß und ich bin oft am Ende meiner Kraft. Letztens habe ich meine Mutter sogar ins Gesicht geschlagen, weil sie so aggressiv zu mir war. Ich habe mich danach unendlich geschämt. So geht das nicht mehr weiter. Ich verliere mich selbst, mein Leben geht drauf und auch meine Ehe. Mein Mann rührt keinen Finger, er denkt wohl ›Ist doch deine Mutter‹, und er beschwert sich, weil wir kaum noch was gemeinsam unternehmen.
Stressfaktor: Gewalt in Partnerschaften
Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken von Frauen weltweit. Auch in Deutschland ist diese Gefahr nicht zu unterschätzen, wie die erste bundesdeutsche Repräsentativuntersuchung zu Gewalt gegen Frauen ergeben hat. Danach erlebte jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal körperliche oder sexuelle Übergriffe durch einen Beziehungspartner (überwiegend männliche Partner oder Ex-Partner). Die betroffenen Frauen kamen aus allen sozialen Schichten mit unterschiedlichsten Bildungsniveaus und kulturellen Hintergründen.
Die Gewalt, von der die befragten Frauen berichteten, hatte unterschiedliche Formen und Ausprägungen und reichte von leichten über mäßig schwere körperliche oder seelische Übergriffe bis hin zu lebensbedrohlichen Gewalthandlungen. So wurden die von Gewalt betroffenen Frauen von ihren Partnern mit extremer Eifersucht verfolgt, verbal angegriffen, beschimpft, eingeschüchtert, geohrfeigt, geschlagen, gewürgt, verbrüht, mit einer Waffe bedroht oder zum Sex gezwungen.
Die gewalttätigen Szenen dieser Beziehungen spielen sich fast | 102 | ausschließlich in den eigenen vier Wänden ab, wie der Report berichtet. Oftmals bekommt lange Zeit niemand etwas vom Leid dieser Frauen mit, denn sie selbst schweigen aus Scham, Angst und Hilflosigkeit. Der Preis, den sie für ihr Schweigen bezahlen, ist hoch, wie der Report belegt: »Zu den psychischen Folgen von Gewalt gehören Depressionen, Stresssymptome, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Essstörungen und Suizidalität. Als unmittelbare Folgen nannten Betroffene etwa Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl, erhöhte Ängste und Konzentrationsschwäche … Gewalt kann auch zu gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen führen: Im Versuch, die psychischen Belastungen zu bewältigen, greifen viele zu Zigaretten und Alkohol, aber auch zu Drogen oder Medikamenten.«
Zu den Gewalterfahrungen, die für den Ausbruch der Krankheit Depression bei Frauen verantwortlich sein können, gehören aber nicht nur aktuelle Übergriffe in ihren Beziehungen. Auch frühe Missbrauchserfahrungen können für eine spätere Depression verantwortlich sein. Experten schätzen, dass 35 Prozent aller weiblichen Depressionen auf sexuellen Missbrauch zurückgeführt werden können.
Wie Statistiken belegen, haben Mädchen ein doppelt so hohes Risiko wie Jungen, missbraucht zu werden. Studien mit amerikanischen Jugendlichen haben gezeigt, dass bereits Mädchen im Grundschulalter häufiger sexuellen Angriffen ausgesetzt sind als Jungen. Nach Forschungen der »American Association of University Women« fürchten sich Mädchen fünf Mal mehr als Jungen in der Schule vor sexuellen Attacken. Diese frühen Missbrauchserfahrungen können die Seele so stark verletzen, dass die Frauen im späteren Leben mit Depression auf schwierige Lebensbedingungen reagieren.
Hinzu kommt, dass erwachsene Frauen immer noch Opfer von | 103 | Sexismus werden. Häufiger als Männer berichten sie, dass sie sich anzügliche Witze anhören müssen (oft am Arbeitsplatz), dass sie mit entwürdigenden Namen angesprochen werden oder dass ihr Körper oder Teile ihres Körpers auf übergriffige und beleidigende Weise kommentiert werden. Eine Befragung von fast 800 weiblichen Angestellten amerikanischer Firmen
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