Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
Vom Netzwerk:
– allen voran der eigene Partner – zu viel an sich, aber zu wenig an andere denken. Doch Selbstfürsorge und Selbstinteresse bedeuten nicht Egomanie. Im Gegenteil: Es gibt bestimmte Dinge, die man nur selbst für sich tun kann, die man an niemanden delegieren und auch nicht von anderen Menschen erwarten kann. Niemand als man selbst kann dafür sorgen, dass der eigene Körper fit bleibt, niemand kann bestimmen, wie man sich gut ernähren kann, niemand kann einem vorschreiben, was man denken und fühlen soll. Und niemand kann feststellen, wie viel Energie man zur Verfügung hat und wofür man sie sinnvollerweise einsetzt. Vieles, was einen selbst angeht, kann man nur selbst entscheiden; man kann nicht erwarten, dass andere sich darum kümmern. Erst wenn man zu sich selbst eine gute, fürsorgliche Beziehung aufgebaut hat, kann man sich anderen zuwenden.
    Das meint Rabbi Hillel, wenn er die zweite Frage stellt: »Solange ich aber nur für mich selber bin, was bin ich?« Die Gefahr, nur für sich selbst zu sein, besteht bei den meisten Frauen nicht, und schon gar nicht bei depressiven. Sie müssen lernen, für sich | 196 | zu sein, und sie sollten möglichst gleich damit anfangen: »Wenn nicht jetzt, wann sonst?«
    Für sich selbst zu sorgen, an sich ebenso zu denken wie an andere, das fällt Frauen grundsätzlich schwer. Viele Frauen haben eine instinktive Abneigung gegen Selbstmitgefühl. Das hat verschiedene Gründe.
    Ein Grund ist in den ersten Lebensjahren zu finden. Wenn die wichtigen Bezugspersonen in der frühen Kindheit häufig und heftig Kritik übten, um ihrem Kind Unheil zu ersparen (»Sei nicht so unaufmerksam, pass doch auf …«) oder um ihm etwas beizubringen (»Aus dir wird nie was, wenn du dich in der Schule nicht anstrengst«), hat das zwei fatale Lerneffekte: Das Kind lernt, dass Kritik anscheinend notwendig und sinnvoll ist, um etwas zu erreichen. Und zudem geht ihm diese Kritik »in Fleisch und Blut« über. Das heißt, es verinnerlicht die mäkelnden Stimmen der Eltern, Lehrer, Geschwister oder anderer wichtiger Personen – sie werden zu seinem inneren Kritiker.
    Ein weiterer Grund liegt in einer Verwechslung. Die meisten Frauen gehen deshalb nicht sonderlich freundlich mit sich um, weil sie fürchten als egoistisch zu erscheinen. Allein das Wort »Selbstmitgefühl« löst bei so mancher Frau Abwehr aus. Es klingt nach Selbstmitleid, und das hat – verdientermaßen – ein schlechtes Image. Denn selbstmitleidige Menschen kreisen oft egozentrisch nur noch um ihr Problem, neigen zur Dramatisierung ihrer Situation und kennen kaum ein anderes Thema als ihr Unglück. Selbstmitleid, so hat sich auch in wissenschaftlichen Studien herausgestellt, ist keine erfolgreiche Bewältigungsstrategie. Sie kann zu einer lähmenden Opferhaltung führen und im Extremfall selbstzerstörerische Züge annehmen. Wer selbstmitleidig ist, hat das Gefühl, dass ihm großes Unrecht geschieht, das andere für sein Elend verantwortlich sind und er selbst an dieser Situation nichts ändern kann. | 197 |
    Manche Frauen wollen deshalb kein Selbstmitgefühl entwickeln, weil sie gelernt haben, dass es unangemessen ist, sich selbst wichtig zu nehmen. Selbstmitgefühl weckt bei ihnen Assoziationen zu Selbstbezogenheit und Egoismus. Und ein Egoist, der sich selbst zu wichtig nimmt, wollen sie auf keinen Fall sein. Tatsächlich aber ist Altruismus ohne die Fähigkeit zur Selbstfreundlichkeit nicht möglich. Die Sorge für andere kann nur dann funktionieren, wenn man auch für sich selbst sorgen kann.
    Selbstmitgefühl fällt Frauen auch deshalb so schwer, weil sie sich darauf konzentrieren, was andere wohl von ihnen denken. Wenn sie glauben, in den Augen wichtiger Menschen nicht bestehen zu können, entstehen Schamgefühle, welche die Selbstkritik nähren. Sie haben eine klare Vorstellung davon, wie sie sein wollen – und wie sie definitiv nicht sein wollen. Durch die Kluft zwischen dem idealen Selbst und dem tatsächlichen Selbst sind sie von sich selbst enttäuscht. Je weiter weg sie sich von ihrem Idealselbst befinden, umso größer ist ihre Enttäuschung und umso anfälliger sind sie für Schamgefühle. Der Wert ihrer Person ist dann in einem zu hohen Ausmaß von der Zustimmung anderer Menschen abhängig.
    Wenn Frauen es überhaupt wagen, an sich zu denken, dann betonen sie meist, dass sie natürlich darüber andere nicht vernachlässigen. Manche Frauen sorgen beispielsweise dafür, dass ihre Freizeitinteressen den

Weitere Kostenlose Bücher