Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
Vom Netzwerk:
zurück getan, ganz gleich, aus welchen Motiven. Die aufbrausenden Jahre der Jugend liegen hinter dir, obwohl...“, sein Lächeln vertiefte sich, „du wohl niemals ein wirklich friedlicher Mensch sein wirst.“
    Es gelang mir, meinen Blick wieder von ihm zu befreien und ich sah einen Moment lang zu Konrad herüber, der mit ausdruckslosem Gesicht dasaß und den Worten des Priesters folgte. Er schien sein Inneres völlig von der Außenwelt isoliert zu haben, ich hatte keinerlei Zugang mehr zu seinen Gefühlen. Dass es mir nicht gelang, auch nur die geringste Regung von ihm zu empfangen, war eine ungewöhnliche Erfahrung: Die Gefühlswelt eines jeden Menschen war bisher immer ein offenes Buch für sie gewesen. Und Konrad hatte bis zu diesem Augenblick keine Ausnahme dieser Regel dargestellt.
    Doch anscheinend konnte er mehr, als er bisher gezeigt hatte.
    „Robert“, drang die mahnende Stimme des Priesters an mein Ohr. „Ich rede nicht mit den Büschen und Bäumen und mich herum. Deshalb sollst du mich ansehen.“
    Mit einem Ruck zerriss irgendetwas in mir, und die Minuten der Verwirrung waren schlagartig vorbei.
    „Vielleicht sind diese Büsche und Bäume deiner Rede mehr wert, als ich“, erwiderte ich, während ich ihm wieder ins Gesicht sah. „Denn wie ich deinen Worten entnehme, bin ich Menschenwerk. Und sie hat ein größerer Schöpfer gemacht.“
    „Das ist Unfug“, entgegnete er. „Du bist mehr wert, als jeder andere Mensch um dich herum: Das Chaos, nach dem die Natur stets strebt, ist in dir geordnet worden. Du besitzt die Sinne und Fähigkeiten unserer urältesten Vorfahren, die bei den heutigen Menschen längst degeneriert sind. Doch du gehörst nicht zu den willkürlichen Fällen, wo das alte Erbgut vereinzelt und in abgeschwächter Form wieder zutage tritt. Hinter der Auswahl deiner Anlagen steckt Absicht.“
    Es war zwecklos, die Augen vor seiner Offenbarung zu verschließen. Die Wahrheit zu ignorieren, konnte die Realität nicht verändern. Deshalb forderte ich ihn auf. „Sag mir, was genau du getan hast.“
    Doch er schüttelte den Kopf. „Das wirst du nicht von mir erfahren.“
    „Was soll das?“ brauste ich auf. „Willst du mir damit demonstrieren, wie allmächtig du bist? Willst du dich zu meinem Gott machen?“
    Er bewegte sanft die Hände auf und ab. „Piano“, sagte er. „Die Ruhe, mein Freund.“
    „Nimm es als Geschenk“, warf Konrad plötzlich – nach langem Schweigen – ein. „Du bist auserwählt.“
    Mit einer schnellen Geste gebot ich ihm, zu schweigen: Seine dummen Kommentare waren in diesem Moment das letzte, was ich noch gebrauchen konnte.
    „Wer sind meine wahren Eltern?“ wollte ich, noch immer wütend, von dem Priester wissen. „Ich habe doch Eltern, oder nicht?“
    „Natürlich“, meinte er. „Aber sie sind unwichtig. Genau, wie der Rest des Drumherums.“
    „Mir ist es nicht unwichtig“, beharrte ich auf eine Antwort. „Denn ich will von dir wissen, wer ich ursprünglich war, und was du aus mir gemacht hast!“
    „Ich habe dafür gesorgt, dass es dir an nichts fehlt“, erklärte er ruhig, ohne direkt auf meine Frage einzugehen. „Ein großes Haus, ein bescheidener Reichtum, den du gründlich vermehrt hast. Und nicht zuletzt habe ich dein Leben mit Sinn erfüllt und dir einen viel unermesslicheren Schatz an die Hand gegeben, als den rein materiellen.“
    Ich schlug mit der flachen Hand auf einen der Steine, um meinem Ärger Luft zu machen. Meine Handfläche durchfuhr ein heftiger Schmerz. Am liebsten hätte ich ihm mit gleicher Kraft ins Gesicht geschlagen.
    „Ich habe dich beobachtet“, fuhr er fort, ohne sich im Geringsten irritieren zu lassen. „Habe mit Freude gesehen, wie sich die Dinge entwickelten. Ich war stolz auf dich, in jedem Moment deines Lebens.“
    „Nur beobachtet?“ fragte ich voll Bitterkeit. „Hast du nicht zumindest ein weiteres Mal Schicksal gespielt, RICHTER? Hast du nicht meine Familie zum Tode verurteilt?“
    „Du hast keine Familie“, berichtigte er mich. „Sie waren nur Statisten.“
    „Ja“, sagte ich. „Statisten. Und als das Stück seinen Lauf nahm, da hatten sie ausgedient.“
    Jetzt meldete Konrad sich wieder zu Wort. „Sei froh, dass du in diesem Stück die Hauptrolle bekommen hast. So brauchst du in den ersten Akten noch nichts zu fürchten. Der Hauptdarsteller kommt meistens davon
– oder er stirbt ganz am Schluss.“
    Ich wandte mich zu ihm um und streckte in einer drohenden Geste die Hand nach ihm aus.

Weitere Kostenlose Bücher