Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
Lebens ernst genommen, weil ich im Gegensatz zu ihnen schon immer wusste, wer du bist.“
Ich erhob mich aus meiner knienden Stellung, und auch er richtete sich wieder auf. Einen Moment lang standen wir uns schweigend gegenüber.
„Du weißt also, wer ich bin?“ wiederholte ich nach einer Weile seine Worte mit zweifelndem Unterton.
„Besser, als du selbst“, war seine unbeirrte Antwort.
Ich wusste genau, dass man sich vor seinen Lügen in Acht nehmen musste. Denn allzu schnell hatte die Spinne ihr Netz gewebt und das Opfer mit seinen Halb- und Unwahrheiten eingesponnen.
Und trotzdem fragte ich weiter, denn mein Gefühl sagte mir, dass es nicht nur ein reiner Köder war, den er mir ausgeworfen hatte. „Wer bin ich denn?“
Er schüttelte leicht den Kopf. „Jetzt ist keine Zeit für lange Gespräche. Gedulde dich noch ein paar Stunden. Denn ich glaube nicht, dass meine Leute noch länger warten wollen.“
Der Priester warf einen bedeutungsvollen Blick in die Runde, wo – mit einigem Abstand zu uns – seine Helfer am Rande des durch die Fackeln geworfenen Lichtkreises standen und warteten. Heute sollten endlich die Wünsche dieser Männer erfüllt werden, so, wie es ihr Meister versprochen hatte. Es war allerdings unleugbar, dass viele von ihnen sich ihre perversen Wünsche schon bei der ihnen überlassenen Johanna erfüllt hatten...
„Mir steht nicht der Sinn danach, Katze und Maus mit dir spielen“, gab ich unwillig zurück.
Doch der Priester winkte ab: „Alles, worum ich dich bitte, ist, ein Weilchen zu warten.“
Dann gab er mit einer Geste den Umstehenden zu verstehen, dass es Zeit war, zu beginnen. Die schwarz verhüllten Männer traten zu uns heran, ihre Gespräche untereinander verstummten. Der Schüler des Priesters trat aus ihren Reihen hervor und gesellte sich stumm zu uns an den Altar. Er trug einen Beutel in der Hand, den er auf dem Opferstein ausleerte. Mir war aus alten Zeiten noch sehr genau bekannt, worum es sich bei den Gegenständen, die nun zwischen uns auf dem Stein lagen, handelte: Genau genommen waren es Materie gewordene menschliche Existenzen, die sich da – achtlos auf einen Haufen geworfen – unseren Augen präsentierten.
Auf dem ersten Blick keine spektakulären Dinge: Einfach Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Alt und abgegriffen, nicht viel wert. Aber sie gehörten jeweils einem einzigen Menschen, waren ihm fest zuzuordnen. Dieser Mensch hatte sie tausende Male berührt und sie zu seinem Zwecke eingesetzt. Die Abnutzungsspuren zeugten von zahllosen Kontakten mit seiner Haut, seinen Händen. Irgendwie war bei jedem Gebrauch etwas von dem Besitzer des Gegenstandes haften geblieben: Nicht nur Partikel seiner Haut und sein Schweiß, sondern auch ein winziges Bisschen Seele: Ärger, Freude, Wut... Diese Dinge hatten in den Händen ihrer Eigentümer vieles miterlebt. Und jetzt nahmen sie auf dem Opferaltar den Platz ihres ehemaligen Besitzers ein. Und besiegelten auf makabre Weise seine Existenz.
Auch ich hatte dem Priester eine Haarnadel Dianes gebracht, damit er diese Frau magisch schützte. Ein feines, langes Haar von ihr hatte noch daran gehaftet, und so hatte dieser einfache, metallische Gegenstand zum Symbol eines Menschen und seiner Lebenswirklichkeit werden können.
Hier lagen nun: Ein abgewetzter Wollhandschuh, ein breiter MessingKamm, eine zerbrochene Brille und eine kleine Stoffpuppe.
Vier einfache Gegenstände, vier besiegelte Existenzen.
Nicht mehr und nicht weniger.
Der Priester gab sich nicht mit langen Erklärungen ab über das genaue Ziel jedes einzelnen Zaubers. Die vier Männer, die die Gegenstände herbeigeschafft hatten, hatten ihre Wünsche mit ihm abgesprochen. Es handelte sich zumeist um irgendwelche persönlichen Racheakte: Schmerzen, Krankheit, Unglück... Ich hatte schon genug von diesen Geschichten gehört, um nicht weiter nachzufragen.
Neid und Missgunst tragen stets dieselben bizarren Blüten.
Es war auch nicht wichtig, dass ich die Hintergründe erfuhr. Ich war heute Nacht hier, um meinen Teil der Magie beizusteuern, damit diese hinterhältigen Attacken gelängen. Und ich tat, was von mir stillschweigend verlangt wurde. Ohne meine Zeit mit Nachdenken darüber zu verschwenden, welche menschlichen Tragödien mein Handeln auslösen würde.
Der Priester löste ausnahmsweise sein Versprechen ein und bat mich nach Vollendung des Rituals um ein Gespräch. Mich überraschte, dass er sich von selbst wieder an mich wandte, statt abzuwarten,
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