Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
obwohl sie es ihr gegenüber niemals zugegeben hätten.
Ein Ort mit süßen Erinnerungen also, dort, unter der Trauerweide, direkt am Ufer.
Josefines Ort zum Träumen.
Und auch diesmal schlug sie mit freudiger Erwartung den schmalen Pfad ein, der zum Teil von üppiger Vegetation überwuchert war. Die Abenddämmerung war schon fortgeschritten, die Luft kühl und frisch. Josefine verspürte eine gewisse Spannung und Vorfreude: Auf solch geheimnisvolle Weise war sie noch nie von einem Mann zu einem Treffen gebeten worden. Bisher waren die Verabredungen immer persönlich getroffen worden. Vielleicht hatte Eddi – falls es wirklich Eddi war, der heute Abend auf sie wartete – sich noch weitere Überraschungen ausgedacht. Vielleicht erwartete sie eine ganz außergewöhnliche Nacht...
Eddi war zwar in der Liebe nicht sonderlich erfahren, aber man konnte ihm sicher nicht vorwerfen, dass es ihm an Phantasie fehlte. Die Weide neigte ihr mächtiges Haupt über die spiegelglatte, im schwachen Abendlicht schimmernde Wasseroberfläche. Es war beinah windstill. Der Ort war verlassen, niemand war hier.
Josefine setzte sich zu Füßen des Baumes ans Ufer, den Rücken an den Stamm gelehnt. Sie konnte von ihrem Platz aus nach rechts aufs Wasser sehen und nach links den Waldpfad im Auge behalten, über den sie selbst gekommen war. Die einzigen Geräusche um sie herum waren die Stimmen der Vögel aus den Bäumen und ab und zu ein leises Plätschern von kleinen Wellen ans Ufer. Es dauerte nur wenige Minuten, da kehrte in ihr der gewohnte Frieden ein. Die Arbeit des Tages geriet in Vergessenheit, die Ruhe der Natur um sie herum ging auf sie über.
Eine herrliche Stimmung für ein romantisches Stelldichein, dachte Josefine.
Sie lehnte den Hinterkopf gegen den rauen Baumstamm und schloss die Augen. Sie dachte daran, wie schön es wäre, wenn Eddi sie mit einem sanften Kuss auf die Lippen aus dem Schlaf wecken würde. Ach, sie könnte ewig so weiterleben: Ihre Freiheit genießen, keinem einzelnen Mann ihr Leben anzuvertrauen. Sie musste lächelnd an die gute, alte Magarete denken: Wie würde die alte heilige Schachtel die Hände über den Kopf zusammenschlagen bei solcherlei Gedanken. Denn eine jungen Frau musste schließlich in vollster Konzentration Ausschau nach einem guten Ehemann halten, um den sie sich dann ein Leben kann kümmern konnte. Die Frage war nur, warum Magarete selbst nicht verheiratet gewesen war. Das hatte die Haushälterin Josefine nie erzählt.
Die Geräusche eines herannahenden Menschen ließen Josefine die Augen wieder öffnen. Zweige und Blätter gerieten auf dem teils überwucherten Pfad in leichte Bewegung. Josefines Blick richtete sich auf die Stelle, wo Eddi jeden Moment erscheinen würde. Doch es war nicht Eddi, der dort zwischen dem Grün der Büsche und Bäume auftauchte, sondern ein ihr völlig unbekannter Mann. Vielleicht war dieser Mann ja nur zufällig hier. Schließlich war es für niemanden verboten, diesen Ort aufzusuchen, dachte sich Josefine. Freundlich nickte sie ihm zu.
Der Mann war knapp dreißig Jahre alt und hatte ein recht einnehmendes, sympathisches Lächeln. Er kam direkt auf Josefine zu und blieb vor ihr stehen. Nun war es an ihr, aufzustehen und dem Unbekannten ebenfalls ein höfliches Lächeln zu schenken.
„Verzeihen Sie, dass ich Sie störe“, sagte der Mann und Josefine fiel die Wärme in seiner Stimme und seinen Augen auf. Das Lächeln war irgendwie jungenhaft und anrührend.
„Ja, bitte?“ Josefine hätte beinah einen Knicks gemacht, so, wie sie es bei feinem Besuch im Hause Adlam
gewohnt war. Natürlich war dies in dieser Situation völlig fehl am Platz, handelte es sich hier doch augenscheinlich um einen einfachen Bürger mit einer überaus liebenswürdigen Ausstrahlung.
„Sie warten hier auf jemanden?“ fragte er.
„Ich... ich habe eine Verabredung“, sagte Josefine und bemerkte, dass sie unter seinem Blick errötete.
„Sie warten auf mich “, teilte er ihr leichthin mit und sein Lächeln intensivierte sich.
„Ach-“, machte Josefine und starrte ihn überrascht und sprachlos an.
„Ich hoffe, ich bringe Sie nicht allzu sehr in Verlegenheit“, meinte er und blinzelte ihr neckisch zu.
Seine galante Art, die trotz aller Höflichkeit noch natürlich wirkte, beeindruckte Josefine. Sie kannte nicht einmal den Namen dieses Mannes, stand ihm erst seit wenigen Sekunden zum ersten Mal gegenüber, und doch hatte er ihr Vertrauen bereits auf seiner Seite.
„Schon
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