Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
erklang aus seinem Mund in vollkommener Harmonie. Die meisten der schwarzen Brüder wussten nur sehr wenig von dieser magischen Sprache. Sie kannten viele einzelne Laute, konnten sie aneinander reihen zu Gesängen und Gebeten. Die Bedeutung der einzelnen Wörter war ihnen jedoch unbekannt, man hatte ihnen nur die etwaigen Sinnzusammenhänge nahegebracht.
Diesen Gesang, den sie jetzt von ihrem Priester vernahmen, hatten sie nie zuvor gehört. Die Worte klangen ungeheuer kraftvoll, man spürte ihre Wirkung wie elektrische Wellen in der Luft. Auch Konrad konnte nur teilweise die Bedeutung dieses Gesangs herauslesen.
***
Der einzige, der die volle Aussagekraft dieses magischen Gesangs zu erfassen in der Lage war, war Robert Adlam. Die Welt um ihn herum bestand für seine Augen nur aus dem unruhigen Licht des Feuers, das durch das schwarze Gewebe drang. Doch er konnte sich das Bild, das sich ihm ohne dieses Stück Stoff vor den Augen bieten würde, nur allzu genau ausmalen. Hunderte Male hatte er die schwarzen Brüder in ihrem engen Kreis zusammenstehen sehen, der Altar, hinter dem der Priester sicher nun seinen Platz eingenommen hatte, in ihrer Mitte.
Der schwere Geruch halluzinogener Kräuter lag in der Luft. Dies und der rhythmische Gesang übte eine Wirkung aus, die die menschlichen Sinne sehr bald gefangen nehmen und einen Zustand der Trance hervorrufen konnte. Der Gesang des Priesters kündigte, auf den eigentlichen Kern reduziert, die Vollstreckung eines Todesurteils an. Keine gewöhnliche Opferung, sondern das gezielte Auslöschen eines menschlichen Lebens aufgrund einer schweren Verfehlung. Der Priester forderte zurück, was er vor zweieinhalb Jahrzehnten einem Unwürdigen geschenkt hatte: Das Leben selbst und die hinzugefügten Kräfte, die zu einem falschen Zweck eingesetzt worden waren. Das Gefühl des Stricks um seinen Hals, vom weiten Gewand nach außen verdeckt, dominierte seine Wahrnehmung. Es glich einem Feuerring, der sich in seine Haut einbrannte, denn es war, zusammen mit der schwarzen Kapuze, das einzige, was ihn von der Freiheit trennte.
Spürst du, wie eng der Strick um deinen Hals liegt? hatte der Priester ihn gefragt. Der Knoten sitzt fest und ihn zu lösen, würde einige Minuten dauern. Bis dahin liegst du lange wieder vor mir auf den Knien, mein Freund. Tu also besser freiwillig, was ich von dir verlange, wenn du nicht möchtest, dass ich dich wieder zwinge. Stirb mit ein bisschen Ehre – und nicht wie ein Verlierer, im Dreck.
In der alten Sprache rief der Priester ihn nun zu sich, an den steinernen Altar.
Mit heftigem Widerstreben setzte er sich in Bewegung. Sein Körper war etwas schwach, das spürte er mit jedem Schritt. Er wusste inzwischen, dass er mehr als zwei Wochen gefangen, auf dem Steinboden sitzend, zugebracht hatte. In dieser Zeitspanne hatte er nur flüssige Nahrung zu sich genommen, mit verschiedenen Substanzen, unter anderem mit Schlafmittel, versehenes Wasser, das ihm der Priester eingeflößt hatte, und sich kaum bewegt. Sicher hatte sein pflichtbewusster Wächter gut für ihn gesorgt, denn sonst wäre er heute kaum in der Lage, auf den Beinen zu stehen.
Sein Fuß stieß gegen etwas Weiches und er hatte das Gefühl, dass es besser sei, einen kleinen Bogen zu machen und dem Hindernis auszuweichen. Er folgte der Richtung, aus der er die Stimme des Priesters vernahm. Da er den Altar nicht sehen konnte, musste er sich mit vorsichtigen Schritten vorwärts bewegen, bis er auf den Stein stieß. Er wusste genau, was nun folgen musste, denn unzählige Male in der Vergangenheit hatte auf diese Weise eine Zeremonie begonnen.
Die Stimme des Priesters verstummte. Er wartete darauf, dass Robert vor dem Altar die Knie beugte und seine Untergebenheit gegenüber den vom Priester herbeibeschworenen Kräften bezeugte. Robert wusste ganz genau, dass er so oder so gehorchen musste. Und er entschied sich weiterhin gegen den Zwang, auf diese Weise blieb ihm zumindest ein kümmerlicher Rest seines Stolzes erhalten. Die Handflächen auf die kalte Steinplatte gelegt, kniete er aus freien Stücken nieder und senkte den Kopf.
Doch kam er nicht dazu, sich wieder zu erheben.
Der Priester hatte offensichtlich inzwischen einige seiner Helfer herbei geordert, die ihn blitzschnell umringten. Viele Hände griffen nach ihm, hielten ihn fest, hinderten ihn, seine kniende Position zu verlassen. Er nahm ihre Angst wahr, die wie ein scharfer Geruch in der Luft lag. Ihre Entschlossenheit, ihn zu halten,
Weitere Kostenlose Bücher