Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
standen. Erst jetzt nahm Lukas wahr, was Magarete auf dem ersten Blick ins Auge gefallen war. Da klebte Blut in Herrn Adlams Gesicht, und auch auf seinem Hals. Es war bereits verkrustet und der Junge konnte nicht erkennen, ob sich darunter eine Wunde verbarg.
Außerdem war eine Seite des Mantels zerrissen und auch in diesem Bereich waren große, dunkle Flecken zu sehen.
Herr Adlam stellte Lukas ein Glas hin, das der Kleine erstaunt hochhob und in den Strahlen des durch das Fenster fallenden Sonnenlichts drehte und wendete. Er hatte ein solches Gefäß noch nie zuvor gesehen, denn er kannte nur die groben Tontassen, die seine Familie daheim immer benutzte. Herr Adlam nahm ihm das Glas wieder aus der Hand, stellte es abermals auf den Tisch und goss ihm aus einem Krug einen orange-gelben Fruchtsaft ein, der wirklich köstlich aussah. Außerdem bekam Lukas noch einen Teller, beladen mit schokoladeverziertem Gebäck.
„Darf ich das alles essen?“ fragte der Junge und konnte sein Glück kaum fassen. Herr Adlam nickte ernst und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
Der Saft schmeckte sehr süß und köstlich und Lukas konnte nicht erraten, aus welcher Frucht er gemacht war. Keine der ihm bekannten Obstsorten hatte einen derartigen Geschmack.
Die Plätzchen waren die reine Wonne. So cremig-leckere Schokoladenüberzüge hatte er noch nie gegessen, und überhaupt wurde bei ihm daheim mit Kakao und Zucker sehr gespart.
„Lukas, kannst du mir etwas über die Männer sagen, die dich mitgenommen haben?“ fragte Herr Adlam plötzlich und Lukas blickte von all den Köstlichkeiten hoch in diese schwarzen, glitzernden Augen, die er sein Leben lang schon kannte, aber die ihm trotzdem fremd erschienen. Lukas wollte am liebsten gar nicht mehr an diese schlimmen Männer denken, und schon gar nicht über sie reden. Auch, als er das Plätzchen heruntergeschluckt hatte, das sich noch in seinem Mund befand, konnte er kein Wort herausbringen.
„Hast du ihre Gesichter gesehen?“ fragte Herr Adlam und sein Blick war derartig intensiv, dass Lukas am liebsten weggeschaut hätte, denn er bekam das Gefühl, diese Augen konnten sein Gehirn durchdringen.
„Ich... nein, sie hatten diese schwarzen Mützen“, stotterte Lukas.
„Die ganze Zeit über? Hat nicht mal einer die Mütze abgenommen?“ Herr Adlams Stimme klang gedämpft, sie war sehr ruhig und tief, und eine beruhigende Wirkung ging von ihr aus.
Lukas atmete tief durch und strengte sich an, nachzudenken, die Erinnerung in seinen Kopf zurückzurufen.
„Der eine hatte einen Zopf.“
„Welche Haarfarbe?“
„Sooo ... gelb.“
„Und sein Gesicht hast du nicht gesehen?“
Es war unmöglich, diesem Blick auszuweichen und sich wieder ganz den herrlichen Plätzchen zu widmen. So wenig Lukas auch dieses ihm auferlegte Gespräch wollte, so furchtbar schwierig war es auch für ihn, Herr Adlams Fragen nicht zu beantworten.
„Äh... nein, das war nur von hinten“, sagte er und dachte eine Weile angestrengt nach. „Aber der eine hatte eine Pistole mit Blumen aus Eisen darauf.“
Herr Adlam lehnte sich vor und sein Gesicht war nun nur noch wenige Zentimeter von Lukas’ entfernt. „Wo wollten sie dich hinbringen, weißt du das?“
Lukas sah nur noch diese funkelnden Augen und sein Kopf war ganz leergeräumt. An die Plätzchen dachte er in diesem Moment gar nicht mehr, nur die Worte der Männer mit den Umhängen waren wichtig. All das Gerede, das er nicht verstanden hatte, zog durch seinen Kopf, obwohl er noch vor zwei Minuten keinen einzigen Satz auch nur sinngemäß hätte wiedergeben können. „...einen seit alters her dem Namenlosen gewidmeten Bereich“, kam es mechanisch aus ihm heraus. Dann stockte er, seine Gedanken trudelten wieder durcheinander.
Herr Adlam schien zu bemerken, dass zusätzlich zu diesen dürftigen Informationen nun nichts mehr weiter aus dem Jungen herauszuholen war, denn er zog sich wieder zurück und sah schweigend zu, wie Lukas durstig nach dem Saftglas griff.
Irgendwann, als Lukas fast das Gefühl hatte, vor lauter Schokoplätzchen und süßem Saft zu platzen, hörte er die Stimme seines Vaters draußen auf dem Flur. Freudig hüpfte er von dem Stuhl. „Da ist mein Papa!“ rief er und stürmte gleich darauf zur Küchentür hinaus. Mitten im Speisezimmer fiel er seinem Vater freudestrahlend in die Arme. Dieser hob ihn hoch und drückte ihn an sich, bis ihm beinah die Luft weg blieb. Es war, als sei er nicht nur eine Nacht,
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