Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
sondern viele Wochen fort gewesen.
Als der Papa Lukas wieder auf die Erde stellte, sah der Junge, dass Herr Adlam schweigend in der Küchentür stand und die Begrüßungsszene beobachtete. Sein Gesicht war eher düster, als erfreut und Lukas wollte seinen Vater am liebsten an die Hand nehmen und ihn aus dem Haus zerren. Doch dieser hatte offensichtlich Herrn Adlam noch etwas zu sagen.
„Ich... ich bin... wirklich dankbar“, stotterte Lukas’ Vater und seine Stimme klang dabei ganz verlegen, den Blick hielt er gesenkt. „Ich weiß nicht, wo Sie ihn gefunden haben, meinen kleinen, aber...“, er hielt inne, als er zum ersten Mal Herrn Adlam direkt ansah. „Was... was ist denn bloß passiert?“
„Ich muss mit dir reden, Heinz“, sagte Herr Adlam, ohne auf die ihm gestellte Frage einzugehen. „Magarete wird sich inzwischen um den Jungen kümmern.“
Magarete, die hinter Heinz den Speiseraum betreten hatte, stand die Neugier ins Gesicht geschrieben. Doch ihr war wohl klar, dass es im Moment überhaupt keinen Sinn machte, Fragen zu stellen. Deshalb kümmerte sie sich sogleich um die ihr zugewiesene Aufgabe.
„Komm her, Kleiner. Wir waschen mal dein Gesicht und deine Hände, du bist ja schrecklich schmutzig.“
Lukas wich nur zögernd seinem Vater von der Seite und begab sich in die Obhut der Haushälterin.
Die Wahrheit
Meine Geschichte als selbstverantwortlicher Mensch in der Welt der Erwachsenen beginnt an dem Tag, als die ‘Blue Waves’ im Meer versank. An diesem Tag, im Alter von neun Jahren, traf ich eine Entscheidung, die mir nicht nur das Leben rettete, sondern es auch komplett veränderte.
Meine Eltern hatten den mehrwöchigen
Großbritannienaufenthalt schon seit langer Zeit geplant und waren sehr erpicht darauf, die alte Heimat und die vielen Anverwandten wiederzusehen. Meine Geschwister ließen sich nur allzu gern von ihrer Aufregung anstecken. Ich selbst hatte keinerlei Beziehung zu diesem fremden Land und den fremden Menschen darin. Mir waren das Land und die Reise egal.
Meine eigene kleine Familie, obwohl dauernd um mich herum, war mir kein Stück näher, als das fremde Land über dem Meer. Meine Geschwister waren zierliche, hellhäutige Wesen, die in ihrer eleganten, manierierten Bewegung nur allzu oft unseren Zuchtpferden glichen. Doch konnte ich die Verhaltensweisen unserer Pferde viel besser verstehen, als die Gefühle und Gedanken meiner Geschwister. Es existierte kein Band der Zugehörigkeit zwischen mir und diesen Menschen, niemals hatte es so etwas wie Verbundenheit gegeben.
Wenn meine Mutter den Arm um mich legte, dann waren ihre Hände so kalt, wie ihre Augen. Sie war mir fremd, so wie ich ihr. Wenn ich sie beobachtete, wie sie mit meinen Geschwistern kleine (jedoch nicht häufige) Zärtlichkeiten austauschte, drängte sich mir ein Gedanke geradezu auf: Sie fühlte ihr eigenes Blut in den Adern dieser Kinder pochen, sah in ihren Gesichtern ein Abbild ihres eigenen Gesichts. Wenn sie jedoch in meine Augen blickte, dann sah sie gar nichts. Ebenso, wie ich in ihren Augen nur die Leere sah.
Dass die Reise in die so geliebte alte Heimat direkt in den Tod führen würde, das wusste ich etwa zwei Tage vorher. Wir waren zu dem Zeitpunkt schon unterwegs zum Hafen, wo das Schiff auf uns wartete.
Ich ließ einen Tag verstreichen, ohne mich über mein Wissen zu äußern.
Wir reisten in einer regelrechten Karawane von fünf Kutschen. In der ersten saßen meine Eltern, in der zweiten wir vier Geschwister. Zwei weitere Kutschen waren randvoll mit Gepäck, wovon mir nur ein minimaler Anteil gehörte. Die letzte Kutsche war mit den für meine Familie unverzichtbarsten Dienstboten besetzt.
Meine beiden Schwestern unterhielten sich während der Fahrt in englischer Sprache über recht oberflächliche Dinge. Mein ältester Bruder, William, der uns allen einige Lebensjahre voraus hatte, blickte stundenlang gelangweilt aus dem Fenster und war auf keine Kommunikation bedacht. Ich dachte darüber nach, wie ich ihnen klar machen konnte, dass die uns bevorstehende Schiffsreise nicht stattfinden durfte. Das war wirklich keine einfache Frage, denn was ich ihnen auch sagen würde, es war vorauszusehen, dass ich auf völliges Unverständnis stoßen würde. Deutlich war mir noch die Szene vor Augen, die sich fünf Jahre zuvor abgespielt hatte, als ich gerade mal vier Jahre alt war: Meine Mutter saß im Wohnzimmer, in einem echt englischen Lehnstuhl und ich trat vor sie. Mit so viel Nachdruck, wie ich es
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