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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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damals vermochte, teilte ich ihr mit, was auf meiner Seele brannte. Sie trug ein totes Kind in ihrem Bauch. Völlig außer sich sprang sie auf und rief nach Vater. Sie erzählte ihm die Ungeheuerlichkeit, die ihr Jüngster da von sich gegeben hatte. Ich bekam die heftigen Schläge seines Gehstocks zu spüren und wurde zwei Tage in mein Zimmer gesperrt. Bis in mein zehntes Lebensjahr hinein wurde ich oft geschlagen und eingesperrt. Danach aber war ich für viele Jahre frei.
    Als Mutter dann einige Tage später heftige Schmerzen im Bauch bekam und dazu noch hohes Fieber, ließ man den Arzt kommen. Der faulende Embryo in ihr konnte gerade noch rechtzeitig entfernt werden, doch ihr Leben stand für einige Stunden auf der Kippe. Es folgte keine Entschuldigung bei mir. Kein gutes Wort, nur ein düsterer, böser Blick meines Vaters, der mir wohl sagen wollte: Es ist deine Schuld, du hast diesen Teufel heraufbeschworen.
    Ich war mir also bewusst, dass ein Appell an meine Eltern, die Seereise nicht anzutreten, keinen Sinn haben würde. Außer, dass ich wohl abermals den Stock meines Vaters zu spüren bekommen würde.
    Die beiden Schwestern waren noch kleine Kinder, die alles eher für ein Spiel hielten, als den wahren Ernst der Lage zu begreifen. William blieb als einziger Faktor in meiner Rechnung übrig. Er war der geliebte Thronprinz meiner Eltern, auf den sie all ihre hoch gesteckten Hoffnungen setzten. Wenn ich ihn dazu bewegen könnte, mir zu glauben, dann wäre eine Rettung möglich.
    Abends in der Herberge nahm ich also meinen großen Bruder zur Seite und versuchte, ihm zu erklären, was ich wusste. „William“, sagte ich ernst. „Du musst die Eltern dazu bewegen, umzukehren. Das Schiff wird versinken und unsere gesamte Familie wird im Meer umkommen, wenn du es nicht tust.“
    Im ersten Moment verhieß Williams Gesichtsausdruck mir Hoffnung. Seine Züge waren besorgt, es lag kein Spott in seinen Augen. „Robert,“, antwortete er, „deine Träume jagen mir wirklich manchmal Angst ein. Du hast einen Hang zu finsteren Prophezeiungen. Was willst du damit bezwecken? Möchtest du, dass wir alle Angst vor dir haben? Oder willst du den Teufel persönlich herausfordern?“
    „Ich sage nur die Wahrheit.“
    „Die Wahrheit, also? - Die Wahrheit ist doch wohl, dass du nur ein ängstlicher Junge bist, der Angst vor einer Schiffsreise hat.“
    Die kurze Unterhaltung war an dieser Stelle schon beendet, denn ich sah William danach nur noch schweigend an, bis er den Kopf abwandte und ging. Ich stand draußen im Dunkeln, vor dieser mittelmäßigen Herberge, sah meinem Bruder nach, wie er gemächlichen Schrittes davonschlenderte und beschloss ganz einfach, sie alle gehen zu lassen. Es tat mir wirklich Leid um sie, die Menschen, mit denen ich die ersten neun Jahre meines Lebens verbracht hatte. Doch zu tieferen Empfindungen war ich nicht fähig. Meine Eltern und Geschwistern waren an diesem Tag nur die ersten, die ich dabei beobachtete, wie sie ohne zu zögern in ihr Verderben liefen.
    Die ‘Blue Waves’ war ein wirklich beeindruckendes Schiff neuester Bauart. Ein gigantischer Dampfer. Bei dem Anblick des hohen, soliden Rumpfes im Hafen schien es äußerst unglaubwürdig, dass dieser geschmeidige Riese sinken könnte. Am Hafen war Festtagsstimmung. Eine Kapelle spielte, Menschen drängten sich am Pier, winkten, lachten, weinten, tanzten oder ärgerten sich mit ihrem Gepäck herum. Unsere Dienstboten waren damit beschäftigt, die Koffer und Taschen meiner Familie an Bord des Schiffes zu bringen, das bereits in zwei Stunden Richtung Großbritannien auslaufen würde.
    Ich ging wortlos mit meinen Eltern an Bord und William grinste mich von der Seite an, so, als wollte er sagen: ‘Na, wir werden schon sehen, was an deinen Phantasiegeschichten dran ist’.
    Im Menschengewimmel an Deck ging ich ganz einfach verloren und verließ das Schiff kurz vor der Abfahrt,
    ungesehen von meiner Familie. Ich stand im Hafen, still und starr, wie ein Stein inmitten der hin- und hereilenden Massen, als die ‘Blue Waves’ auslief. Ich hatte keinen Gedanken und auch keinen Abschiedsgruß für sie übrig, denn ich war nur eine leere Hülle, ohne Herz und ohne Antrieb.
    Erst zwei Wochen später erwachte ich wieder zum Leben, und von da an war ich mein eigener Herr.
    ------- HEINZ ------
    Die schwere Haustür fiel hinter Heinz ins Schloss. Er musste erst einmal tief Luft holen und dabei einige Zeit auf dem Treppenpodest verharren, um seine Fassung

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