Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
diese schwarze Kapuze nicht wie eine undurchdringbare Felswand zwischen uns gestanden hätte, staute sich in mir zurück. Es brannte in meinem Innern wie ein höllisches Feuer, eine Art Schmerz, die ich nie zuvor gekannt habe. Und dann vernahm ich seine Stimme, zum ersten Mal nach so vielen Jahren. Der Totgeglaubte ist tatsächlich lebendig, wie ich es schon seit Tagen vermute. Er gab mir keinen Spielraum und wirkte pausenlos auf mich ein. Er drang in meinen Kopf und ich konnte nicht dagegen angehen, weil das Feuer in mir meine gesamte Energie auffraß.
Dass ich seinem Befehl, den alten Schwur noch einmal zu sprechen, Folge leistete, ist nicht darauf zurückzuführen, dass ich Magaretes Leben retten wollte. Gern würde ich dies so sagen, denn das wäre zumindest eine einigermaßen edle Handlung. Doch ich betonte bereits: Die Grenzen sollten nach meinem Willen nie wieder fallen. Die Konsequenzen daraus waren mir ganz egal, auch in dem Moment, als es um Magaretes Leben ging. Jedoch war die Sache mit Magarete ‘just show’: Er wollte ihr Angst einjagen, weil er gerade Spaß daran hatte.
Nein, der Meister hatte, als Magarete in ihrem Morgenmantel über den Flur herbeigeschlichen kam, die nötige Vorarbeit bereits geleistet, um von mir zu bekommen, was er wollte. So sehr ich mich auch gegen sein Eindringen in meinen Kopf, in meine Gedankenwelt, wehrte, ich hatte wegen dieses lächerlichen Stück Stoffs keine Chance gegen ihn. Meine eigene Kraft wurde tausendfach auf mich zurück gestrahlt, und mein Widerstand war, trotz lautstarker Einwände, bei Magaretes Eintreffen schon dahin.
Jetzt weiß ich es mit Bestimmtheit: Was in den letzten Jahren seit seinem Verschwinden gelaufen ist, war alles nur ein Spiel. Er hat mich hingehalten, hat mir kleine Opfer geschenkt, so lange, bis er mich wieder gebrauchen konnte.
Und jetzt ist es so weit.
Nach der Wiederholung des Schwurs kann ich gehen und tun und lassen was ich will, hat er gesagt. Und damit hat er seine größte Lüge ausgesprochen, von all den Unwahrheiten, mit denen er mich als halbwüchsigen Jungen vollgestopft hat. Denn mein Bekenntnis zu den Mächten des Bösen zu erneuern, das wusste er, würde die Tore wieder öffnen, die ich so mühsam all die Jahre hinweg mit ganzem Einsatz zu gestemmt habe. Der alte Riegel, der die Torflügel einmal verschlossen hielt, ist seit jener Nacht zerbrochen.
Die brennende Wut, die sich während der Zeit der Hilflosigkeit unter der schwarzen Kapuze in mir anstaute, verseuchte mein Inneres mit ihrer zerstörerischen Energie. Am liebsten hätte ich den Schädel jedes einzelnen von seinen Männern zertrümmert, so, wie sie es mit dem neugeborenen Fohlen des Bauern Rothans gemacht haben. Ich weiß, dass dieser unkontrollierte Hass das erste Zeichen dafür ist, dass ich beginne, meine Seele zu verlieren. Dieses Gefühl in jener Nacht ging weit über das hinaus, was ich vorher gekannt habe.
Die Kapuze von meinem Kopf zu reißen und diesen unseligen Haufen Stoff auf die Erde zu werfen, das war das einzige, was mich von meiner Freiheit trennte, als sie mich endlich allein ließen.
Zwei meiner alten, festen Vorsätze bin ich noch zur selben Stunde untreu geworden: Niemals andere Menschen einzuweihen und damit ihr Leben zu gefährden, war der erste Grundsatz. Ich brauchte Heinz und Johannes dringend, um das verzehrende Feuer unter des Meisters willige Helfer zu bringen. Die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit ließ mir keine Möglichkeit für einschlägigere Mittel, die ich ohne ihre Hilfe einsetzen konnte. Außerdem wünschte ich mir, den schwarzen Meister direkt zu treffen und wollte jemanden, der mir bei der Gelegenheit den Rücken freihielt.
Niemals wieder die Mächte heraufzubeschwören, die mir der Meister damals als Mittel zur Hand gegeben hat, um sein Werk für ihn voranzutreiben, das war der zweite Grundsatz. Meine eigenen Fähigkeiten reichten aber nicht aus, um eine realistische Chance auf eine erfolgreiche Rache zu haben. Denn: Rache würde es sein, was ich vorhatte. Keine selbstlose Rettungsaktion für ein kleines Kind, sondern das Ausleben meines Hasses, der ansonsten mich selbst zerstören würde.
Ohne Zweifel haben die Worte, die man mich zu sprechen gezwungen hat, schon sehr früh Wirkung gezeigt. So wurde die Befreiung des Jungen zu einem Inferno aus Feuer und Rauch. Johannes hat dabei sein Leben gelassen, durch meine Schuld. Das ist jedoch beileibe nicht das erste Menschenleben, das ich auf dem Gewissen habe.
Weitere Kostenlose Bücher