Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
außerordentlich geschmeidig. Ein besseres Pferd hätte Anna sich nicht wünschen können, als die vor etwas über einer Woche gekaufte Stute aus der Adlam Zucht. Diane ritt auf ihrem Schecken an Annas linker Seite. Tante Agnes hielt ihr Pferd auf dem schmalen Weg immer ein bis zwei Schritte hinter den beiden Mädchen. Gemeinsam folgten sie der Straße nach Scarheim, immer geradeaus.
Diane wünschte sich ein ebenso elegantes Pferd, wie ihre jüngere
Schwester es nun besaß. Sie war bereits einundzwanzig und ihr alt gewordener, recht kleiner Schecke war nun wirklich nichts mehr für sie. Doch Tante Agnes hatte sicher eine vage Ahnung davon, dass es ihren beiden Nichten nicht allein um das Aussuchen eines neuen Pferdes für Diane ging, sie war jedoch nicht ausdrücklich in das Vorhaben der Mädchen eingeweiht. Ein grundlegendes Verständnis für jugendliche Neugier, und dem daraus resultierenden Übermut, war bei ihrer Anstandsdame durchaus vorhanden. Schließlich hatte die Tante in ihrer Jugend selbst einen Mann geehelicht, der kaum noch in den Toleranzbereich ihrer aristokratischen Familie fiel.
Anna und Diane waren sich darüber einig, dass der Züchter der herrlichen glutfarbenen Reitpferde noch ein kleines Stück mehr Beachtung verdiente, als seine Tiere. Die große Schwester Diane kannte Herrn Adlam noch von einer früheren Begegnung, die einige Jahre zurück lag.
„Ich bin damals in Scarheim dabei gewesen, als Vater sein eigenes Pferd ausgesucht hat“, hatte sie Anna erzählt. „Wegen eines heftigen Sturms konnten wir unseren Rückweg nach Lindheim nicht mehr am selben Tag antreten und mussten in Herrn Adlams Haus übernachten. Das ist schon einige Jahre her, aber ich kann mich sehr gut an ihn erinnern. Er ist damals nicht älter als 20 Jahre gewesen. Vater sah ihn trotz seiner Jugend als ernstzunehmenden Geschäftspartner. Irgendwie ist der Mann mir nie aus dem Kopf gegangen, Anna, obwohl wir uns nur oberflächlich kennengelernt haben. Ich würde ihn gern einmal wiedersehen und ein mit ihm führen, um zu erfahren, was hinter der interessanten Fassade steckt.“
Anna hatte erfreut Dianes Eindruck bestätigt. „Ich hätte gerne mit ihm geredet, aber Vater hat mich die ganze Zeit über wie ein kleines, dummes Kind behandelt. Er hat mich einfach nicht zu Wort kommen lassen.“
Die Entscheidung zu ihrem gemeinsamen Ritt nach Scarheim war sehr schnell gefasst. Sie hatten sich gegenseitig mit ihrer Abenteuerlust angestachelt. Und nun ritten sie einträchtig nebeneinander her, ließen sich die kühlende Frühlingsluft um die Nasen wehen und freuten sich, am heutigen Tag einmal so etwas wie Freiheit schnuppern zu können.
„Vielleicht ist er gar nicht daheim. Wir haben uns ja schließlich nicht anmelden lassen“, gab Anna plötzlich zu bedenken.
Diane zuckte mit den Schultern. „Na und? Dann haben wir eben einen netten Ausflug gemacht. Und du konntest dein neues Pferd endlich einmal ohne Bewachung bewegen. Ein ängstlicher Vater, der ständig alles im Blickfeld haben muss, ist doch wirklich eine Qual.“
„Oh, ja!“ lachte Anna. „Ich darf doch erst dann alleine ausreiten, wenn ich absolut mit dem Pferd verwachsen bin! Und das wird erst in tausend Jahren so sein!“
Diane stimmte in das Lachen ihrer Schwester ein.
Tante Agnes ließ von dem Rücken ihres rostfarbenen, etwas schwerfälligen Wallachs in skeptischen Ton vernehmen: „Ihr habt gut lachen! Wenn euch irgendetwas zustößt, dann bin ich es, die zur Verantwortung gezogen wird. Ich verstehe manchmal selbst nicht ganz, warum ich mich immer wieder auf eure Einfälle einlasse...“
Diane wandte sich, noch immer mit einem Schmunzeln auf den Lippen, zu ihrer Tante um.
„Onkel Julian würde sagen: Es ist besser, mit offenem Verstand ins Unglück zu laufen, als immer nur mit geschlossenen Augen zu träumen.“
Anna, die ebenfalls einen kurzen Blick nach hinten geworfen hatte, bemerkte deutlich, dass die Tante sich bei diesen ihren wohlbekannten Worten ein Lächeln verkniff. Onkel Julian, Agnes‘ verstorbener Ehemann, hatte Zeit seines Lebens alle möglichen Sprüche und Weisheiten von sich gegeben, die Diane allesamt zu rezitieren in der Lage war. Anna selbst hatte den Onkel kaum gekannt, denn sie war immerhin sieben Jahre jünger, als ihre große Schwester. Aber Dank Dianes lebendiger Erinnerung war auch Anna der Onkel so sehr vertraut, als sei er nicht bereits gestorben, als sie noch ein kleines Kind war.
„Euer Onkel hat sich wahrlich
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