Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
immer an diesen Spruch gehalten“, bestätigte Tante Agnes mit bemüht ernster Miene. "Statt dem Unglück aus dem Weg zu gehen, ist er stets direkt hineinspaziert.“
„Er konnte sich immerhin nicht über ein langweiliges Leben beklagen“, erwiderte Diane. „Und ein Leben, in dem rein gar nichts geschieht, das lebt man nicht wirklich.“
„Dieses Motto“, entgegnete Tante Agnes, nicht, ohne eine gewisse Belustigung durchblicken zu lassen, „ist ein wichtiger Grund dafür, dass Julian nur ein so kurzes Leben beschieden war.“
„Bei unserer heutigen Unternehmung“, wusste Diane ernst zu antworten, „wird uns nicht gleich der Tod erwarten, liebe Tante.“
Anna fand, dass Diane wirklich eine großartige ältere Schwester war, obwohl die beiden so viele Jahre voneinander trennten. Allerdings hatte die große Schwester erst vor kurzem entdeckt, dass Anna inzwischen vom Kind zur jungen Frau geworden war und man sich mit ihr nun auch über ‘Erwachsenendinge’ zu unterhalten vermochte.
Äußerlich waren sie einander sehr ähnlich. Beide hatten das dichte, dunkelblonde Haar ihrer Mutter geerbt, und auch ihre dunkelblauen Augen. Sie waren recht zierlich gebaut, genau, wie beide ihrer Eltern.
„Wir sind gleich da“, sagte Diane und wies auf den Hügel, der hinter einem Stück Wald zum Vorschein kam. Zu Füßen des Hügels lag das Dorf Scarheim, und oben, auf der Kuppe, stand das große, weiße Haus, das sie als Ziel ins Auge gefasst hatten.
Anna, die während des Rittes die Ruhe in Person gewesen war, fühlte sich nun plötzlich ein wenig aufgeregt. Ihr eigentliches Ziel war es ja, mehr über den ihnen so interessant erscheinenden Mann zu erfahren. Und in ihrer Vorstellung war dieses Unternehmen ein herrliches Spiel gewesen, indem sie selbst, immer ganz Dame, geschickte Fragen stellte und vor hintergründigen Humor sprühte. Aber in Wahrheit war dann doch immer alles anders, als man es sich vorstellte. Ihr reales Selbstbewusstsein war nicht halb so groß, wie in ihren Träumen.
Sie banden ihre drei Pferde am eisernen Gartenzaun fest, wo bereits der hellbraune, stämmige Hengst eines Besuchers stand und auf seinen Besitzer wartete. Ein gutes Zeichen für die Anwesenheit von Herrn Adlam, dachte sich Anna. Dann schritten sie den Pfad entlang zur Eingangstür. Das Haus von Herrn Adlam war noch größer, als ihr eigenes, obwohl die von Roders einen kleinen Palast bewohnten.
„Wie kann ein Mann alleine in einem so riesigen Haus leben, ohne dass er sich völlig vereinsamt vorkommt?“ bemerkte Diane erstaunt.
Anna konnte diese Frage nicht beantworten. Sie betätigte die Glocke an der Haustür.
Nach nur wenigen Sekunden des Wartens wurde ihnen von einer älteren Bediensteten in gestärkter Schürze geöffnet.
„Guten Tag. Ich bin Agnes Werhaus“, stellte Tante Agnes sich vor. „Und dies sind meine Nichten Diane und Anna von Roder. Wir möchten gerne zu Herrn Adlam. Es geht um einen Pferdekauf.“
„Diane und Anna von Roder? Die Töchter des Herrn von Roder aus Lindheim?“ fragte die Frau sofort.
Diane nickte. „Richtig. Herr Adlam ist doch im Hause, oder?“
„Ja, er ist da. Kommen Sie doch bitte herein.“ Die ältere Frau machte eine einladende Geste in den Hausflur und die beiden Schwestern traten ein.
Anna sah sich kurz in dem geräumigen Flur um und warf auch einen Blick auf das Treppenhaus. Alles war sauber und zurückhaltend edel. Die Dienstbotin bat sie in einen angrenzenden Raum, in dem es schlichte, aber sehr bequeme Polstermöbel gab und einen mit verzierten Eisengittern versehenen Kamin.
„Bitte machen Sie es sich bequem. Ich hoffe, Sie haben etwas Zeit mitgebracht, denn der Arzt ist gerade noch bei Herrn Adlam. Ich kann wirklich nicht sagen, wie lange es noch dauern wird.“
„Arzt?“ fragte Diane und tauschte einen kurzen Blick mit Anna. „Ich hoffe, wir kommen nicht völlig ungelegen! Wenn Herr Adlam krank ist, dann kommen wir besser an einem anderen Tag noch einmal wieder.“
„Nein, nein, Sie können ruhig hierbleiben“, erklärte die Frau ihnen. „Herr Adlam hat schon heute Morgen Geschäftsbesuch empfangen. Ich muss Sie beide nur bitten, etwas Geduld zu haben. Ich bringe Ihnen inzwischen eine Kleinigkeit zum Tee, wenn Sie möchten.“
Die drei hatten nach dem langen Ritt natürlich Hunger und Durst und deshalb nahmen sie dieses Angebot gerne an. Als die Frau verschwunden war, wandte Tante Agnes sich an die beiden Schwestern.
„Ihr hättet daran denken sollen,
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