Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
selig-süßen Traum eines Halbwüchsigen erwacht und stehe der bitteren Realität gegenüber: Die Kontrolle liegt nicht in meiner Hand. Sie liegt aber auch nicht in der Hand des dunklen Meisters, der noch heute dem gleichen Traum träumt, aus dem ich vor Jahren erwacht bin. Sie liegt in niemandes Hand.
Ich bin nicht Herrscher, sondern Opfer. Ein schuldiges Opfer, keinesfalls unbefleckt.
Seit der verhängnisvollen Nacht, als ich das Feuer entfacht habe, fühle ich, dass es mir immer schwerer fällt, frei zu atmen. Manchmal beherrsche ich nicht einmal mehr meine eigenen Gedanken; dann frage ich mich, was denn so furchtbar daran wäre, dem unerträglichen inneren Drang nachzugeben und zurückzugehen.
Zu ihm.
Denn in diese Welt der braven Dorfbewohner gehöre ich nicht hinein. Im Grunde genommen hält auch mich nichts bei ihnen: Sie empfinden nur Ablehnung mir gegenüber, zum Teil sogar Hass. Und mir selbst fehlt allzu oft das Verständnis für ihre Denkweise. Also warum gehe ich nicht dorthin zurück, wo ich so offensichtlich hingehöre? Warum schlage ich nicht endlich den Weg ein, auf den alle Wegweiser für mich zeigen?
Das böse Ende ist so oder so unausweichlich, denn der Tod steht mir bevor.
Heute Morgen, nachdem die beiden Lindheimerinnen mein Haus verlassen hatten, war ich mit dem Schwarzen weit draußen, irgendwo unter dem grauen Wolkendach, das sich über die Welt aufgebaut hatte. Ich habe das Pferd bis zur Erschöpfung getrieben. Die Erschütterung des harten Galopps hat die tiefe Wunde an meiner Seite zum Brennen gebracht, als sei sie pures Feuer. Diese Wunde ist ein Sinnbild für alles, was mich plagt: Immer in dieselbe Kerbe hat man mir geschlagen, bis ich innerlich zerbrochen bin.
Nun stehe ich vor den Scherben meiner selbst und es tut weh, anzusehen, was von meinen Träumen geblieben ist: Nur Zweifel und die Last einer Entscheidung, die ich nicht zu treffen vermag.
Als ich meinem Pferd endlich eine Pause gegönnt habe, da habe ich mich in den aufkommenden Regenwind gestellt, die Augen geschlossen und auf ein Zeichen gewartet. Denn wenn das Böse schon eine so starke Stimme hat, dass ich sie ständig höre und ihrem Lockruf fast erliege, dann muss doch auch die Stimme des Guten irgendwo vernehmbar sein. Hier, mitten in der Natur, auf einer Hügelkuppe, weit von jeglicher menschlicher Ansiedlung entfernt, war doch sicher ein guter Ort, um eine Botschaft Gottes zu empfangen. Des Gottes, den ich immer gesucht habe, der sich mir aber niemals zeigte. Nicht einmal für einen Augenblick.
Doch ich bin wieder einmal enttäuscht worden.
Ich weiß nicht, ob Gott alle Menschen verlassen hat, oder nur mich.
Vielleicht hat es ihn auch niemals gegeben.
Als ich mein Pferd den Hügel hinauf zurück zum Stall führte, kam mir der Pfarrer aus Scarheim entgegen. Sein Gesicht war eine einzige große Sorgenfalte. Die schlechten Nachrichten, die er brachte, und die ich ihm zum Teil mühsam entlocken musste, überraschten mich kaum. Dass sie den Bildhauergesellen nach seiner Flucht aufspüren und töten würden, habe ich geahnt. Ihn allerdings nach seinem Ableben öffentlich zu postieren, das ist eine ganz neue Taktik. Außerdem haben sie ein kleines Horrorszenario in der Bildhauerwerkstatt inszeniert, indem sie den unfertigen Altar mit Blut übergossen haben. Und, unverzüglich und verlässlich, wurden von dem Pfarrer und gleich darauf auch von der Polizei die Botschafter des dunklen Meisters zu mir getragen:
„Du bist ein Außenseiter, Robert Adlam. Du bringst nur Unglück über diesen Ort: Feuer, Tod und Angst. Warum gibst du nicht endlich auf?“
Ich habe der Polizei nur die Antworten gegeben, die unbedingt nötig waren, um sie einigermaßen zufriedenzustellen. Wichtige Details verschwieg ich den beiden Beamten, jedoch auch Lügen vermied ich, wo es nur ging. Natürlich waren die Ergebnisse meiner Vernehmung sehr unbefriedigend für die Polizei, denn sie brachte sie kein Stück näher an die Lösung des Falls. Ein langes, ermüdendes Katz-und-Maus-Spiel ist es für sie und für mich gleichermaßen gewesen, aber ich wollte und konnte ihnen nicht weiterhelfen. Denn in dieser Sache würde die Polizei sich nur selbst in Gefahr bringen.
Dass ich die Nacht, in der der Mord geschah, nicht allein verbracht habe, behielt ich ebenfalls für mich. Und so komme ich für sie immer noch als Mörder in Frage. Ob Diane von Roder bereit wäre, mir ein Alibi zu geben, in dem Bewusstsein, für immer ihren guten Ruf zu verlieren,
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