Wer Boeses saet
in Hénons Büro. Der Polizeidirektor hatte mit Verwaltungsproblemen zu kämpfen und konnte ihm nicht viel Zeit widmen. Sie zogen kurz Bilanz, wobei François seine jüngsten Entdeckungen zusammenfasste: die Fährte mit der Magersucht; Justines Blog; Natascha. Die Hypothese mit der Hellseherin überging er stillschweigend. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es besser wäre, nicht über Julia zu sprechen.
Danach eilte der Profiler zu dem Ort, an dem nur er bestimmte. Den Mantel hängte er an den Garderobenständer, dann zwängte er sich hinter den Tisch aus plastifiziertem Holz und setzte sich mit einem Seufzer auf den Stuhl. Der Raum deprimierte ihn. Es gab einen dunklen Schrank, der gut in ein Gefängnis gepasst hätte. Anders als seine Kollegen hatte er nicht einmal den Versuch gemacht, sein Reich fröhlicher zu gestalten. Wozu auch? Selbst wenn er Meisterwerke aufhängen würde, an das Raffinement seiner früheren Psychoanalytikerpraxis würde er doch nie herankommen.
Er schaltete den Computer ein. Seine Ermittlungsarbeit. Die Jagd. Dazu war er hier. Der Rest zählte im Grunde kaum.
Als Erstes musste er sich um die Handynummer von Natascha kümmern. François klickte sich in die Datensammlung ein, in der sämtliche von den Telefongesellschaften hergestellten Verbindungen verzeichnet waren. Er gab die Telefonnummer ein. Das verwendete Netz: Bouygues Télékom. Kunde: Café de la Mairie in Châtillon im 92. Département. Anschluss eingerichtet seit dem achtundzwanzigsten August 2008. Immer noch in Benutzung.
Es handelte sich um eine Prepaid-Karte, die ein Tabakwarenhändler verkauft hatte. Der Benutzer konnte ein bestimmtes Guthaben abtelefonieren. Vorteil: Man musste keinen Namen und keine Adresse angeben.
François lächelte. Julia hatte erneut ins Schwarze getroffen. Er machte intern einen Anruf. Sofort sprang die Mailbox an. Élodie, Spezialistin für die Zurückverfolgung von Anrufen, die in einer Abteilung des Kampfes gegen organisierte Kriminalität und Finanzkriminalität arbeitete, war nicht an ihrem Platz.
Der Profiler erklärte schnell, was er wollte: nämlich die Daten und Zeiten, in denen der in Châtillon verkaufte Anschluss aktiv gewesen war. Und natürlich auch die der anderen Fernsprechteilnehmer. Er gab die Namen und die Telefonnummern von Lucie und Justine durch, mit derselben Bitte.
François legte auf und tat den nächsten Schritt. Noch ein interner Anruf. Diesmal war er sicher, den Gesprächsteilnehmer anzutreffen. Er saß Tag und Nacht wie angewachsen vor seinen Bildschirmen.
Sofort meldete sich eine Stimme mit Vorstadtakzent:
»Yo, Marchand! Schiebst du Langeweile in deinem Kabuff?«
»Hast du eine Minute Zeit für mich?«
»Für dich sogar zwei.«
Karim Hallaoui. Zwanzig Jahre alt. Sah aus wie ein Rapper und hatte den Grips eines Nobelpreisträgers. Nachdem er sich in die hochvertraulichen und unter Verschluss stehenden Datenbanken des Innenministeriums eingehackt hatte, stellte man ihn vor die Wahl: ein Abstecher ins Gefängnis, und zwar für eine Zeit, die in Anbetracht des Deliktes durchaus lang werden könnte, oder die Zusammenarbeit mit den Polizeikräften. Der Hacker hatte nicht gezögert. Nachdem er die Opfer über die Sicherheitslücken in ihrem Informationssystem aufgeklärt hatte, hatte er sich bereit erklärt, sich dem OCLCTIC anzuschließen, einem Zentralbüro, das zur Kripo gehörte und sich dem Kampf gegen die Kriminalität in der Informations- und Kommunikationstechnologie verschrieben hatte. François mochte ihn gern. Die Sympathie war gegenseitig.
»Machst du dir Notizen?«, fragte der Kommissar.
»Schieß los.«
»Bloggöttlichemarquise.com. Ich hätte gern, dass du den mal auseinandernimmst und mir dann sagst, was da genau dran ist.«
»Was ist denn das für eine Farce? Ein Blog übers Fressen? So ’ne Art Comtesse Dubarry von und zu meinen Eiern?«
Der Kommissar musste unwillkürlich lächeln. Die Bullen brauchten ihn offenbar wirklich, sonst würden sie so einen Fremdkörper in ihren Reihen nicht dulden.
»Es handelt sich um einen Pro-Ana-Blog.«
»Pro Ana? Mensch, wach auf, Alter. Weißt du nicht, dass wir die alle rausgekickt haben?«
»Nicht alle, mein Zicklein. Das Mädchen, das man in Bagnolet abgestochen hat, das war schlauer gewesen.«
»Welches Mädchen?«
Er wusste nicht Bescheid. Karim lebte völlig weltfern in seiner eigenen Blase, aus der er nur zum Essen, Trinken oder Schlafen herauskam. Falls er daran dachte …
»Egal … Such mir
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