Wer Boeses saet
ich es übersetzen?«
Misstrauischer Blick. Dann eine komplette Kehrtwende.
»Was ist los?«
»Gibt es hier einen Jean-Louis?«
»Oh … ja …«
»Sagen Sie ihm, dass Besuch für ihn da ist.«
»Es ist nur so …«
Julia verdrehte die Augen.
»Na los. Ich hab nicht den ganzen Morgen Zeit.«
Die Alte erhob sich, durchquerte ihr Chaos und klopfte an der einzigen Tür am anderen Ende des Raumes.
»Loulou, ist für dich. Die Bullen.«
»Hä?«
»Die Bullen sind da. Komm schon.«
Man hörte, wie ein Stuhl hektisch nach hinten geschoben wurde. Dann eilige Schritte. Ein Typ, der die männliche Menopause schon hinter sich hatte, öffnete die Tür.
Als er Julia sah, bekam er einen roten Kopf. Mit seiner spitzen Nase und dem graumelierten Backenbart sah er aus wie ein alter Pavian. Er würde ein Weibchen auf hundert Kilometer wittern.
Er streckte ihr eine feuchte Hand hin.
»Jean-Louis Berthon. Was kann ich für Sie tun?«
Übertriebene Höflichkeit. Hohle Phrasen. Der Mann tat so, als sei er der Großherzog persönlich, mit seinem schwarzen Samtanzug und der königsblauen Krawatte. Dabei drang ihm die Gosse aus allen Poren.
»Es geht um Lucie Barmont. Wegen ihr bin ich hier.«
Er sog auf theatralische Weise die Luft ein.
»Kommen Sie in mein Büro.«
Die Höhle des Frischfleischhändlers ähnelte dem Besitzer. Sie war kitschig und protzig. Ein großer Tisch aus rotem Holz. Die bunt bemalten Gipsfiguren darauf, alles Aktfiguren, sahen unglaublich lächerlich aus. Ein Heer von Körpern bedeckte die Wände wie eine freizügige Tapete.
»Lucie hat für Sie gearbeitet«, eröffnete Julia das Gespräch.
»Die arme Kleine«, lautete die Erwiderung. »Ich hab davon gehört. Das ist … mir fehlen die Worte.«
»Wo waren Sie letzten Sonntag zwischen zweiundzwanzig Uhr und zwei Uhr morgens?«
Er kniff die Augen zusammen. Dann lächelte er entrüstet, was gespielt wirkte.
»Werde ich etwa verdächtigt?«
»Beantworten Sie meine Frage, Monsieur Berthon.«
»Ich war mit meiner Frau zusammen. Zu Hause. Sie können sie fragen, sie ist nebenan.«
Julia nickte, ohne eine Regung zu zeigen.
Nicht eine Sekunde hatte sie mit dem Gedanken gespielt, dieser alte Bock hier könnte der Mörder sein. Sie hatte die Frage nur mit einem Ziel gestellt: Sie wollte ihm zeigen, wer hier das Sagen hatte.
Sie fuhr fort:
»Erzählen Sie mir von Lucie.«
»Was soll ich da erzählen? Unsere Beziehung war rein beruflicher Art.«
»Dann erzählen Sie mir von Ihrer Zusammenarbeit.«
»Sie fing gerade erst an. Ihr Problem war die Größe.«
»Zu klein, ich weiß. Hat sie trotzdem gearbeitet?«
»Nicht wirklich. Mir ist es nie gelungen, sie bei einer Modenschau unterzubringen.«
»Fotos?«
»Nicht mal ein Modelbook.«
Julia kannte sich in dem Gewerbe nicht aus. Sie fragte nach.
»Was ist da der Unterschied?«
»Das Modelbook ist die allererste Etappe, die Visitenkarte eines Models. Eine Zusammenstellung von Fotos, die man dem Kunden präsentiert. Möchten Sie ihr Book sehen?«
»Warum nicht?«
Der Siebzigjährige stand auf. Während er einen mit Engelchen dekorierten Schrank durchsuchte, fragte Julia ihn geradeheraus:
»Wussten Sie, dass Julia Marihuana verkaufte?«
»Ach ja?«
»Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«
»In dem Milieu nehmen alle irgendwelche Drogen. Sie meinen Cannabis? Wie niedlich! Normalerweise geht es um Alkohol, Kokain, ja sogar Heroin …«
Er suchte weiter, als wäre nichts geschehen. Die Polizistin fragte sich, wo sie hineingeraten war. Ob man sich nun die Laufstege der großen Hauptstädte oder eine obskure Provinzagentur ansah, die Probleme waren offenbar dieselben. Alle, die hier ihre Haut zu Markte trugen, dröhnten sich mit Drogen zu.
Der Alte setzte sich wieder. Er hielt Julia eine Art kartoniertes Heft hin, auf dessen Vorsatzblatt Lucie in Großaufnahme zu sehen war. In stilisierten Lettern stand ihr Vorname darauf. Unten auf der Seite befand sich das Logo der Agentur.
»Zu Beginn ihrer Karriere gibt es nur diese Art von Fotos. Sie werden dann nach und nach durch professionellere Aufnahmen ersetzt.«
Julia blätterte die Sammlung durch. Vier wie ein kleines Heft gefaltete Seiten. Die Aufnahmen des jungen Mädchens waren sorgfältig ausgesucht, um eine bestimmte Stimmung zu schaffen, eine bestimmte Persönlichkeit darzustellen. Das Ganze sollte das Bild einer Lolita ergeben.
»Mit dem Book haben wir uns in die Nesseln gesetzt. Nach all den Geschichten mit Pädophilen und so
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