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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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die Wände waren mit Aluminiumfolie ausgekleidet, und ganze Batterien von Scheinwerfern versengten einem die Pupillen. Als Julia die Tür öffnete, wurde sie aller Illusionen beraubt. Lorenzo arbeitete in einem düsteren Raum mit niedriger Decke, dessen verschlissene Tapeten an die Wohnung eines alten Mannes erinnerten. Das Studio lag eingezwängt am Ende eines schmalen Ganges. Ein völlig zerschlissenes Sofa, ein kleiner Plastiktisch, auf dem noch die Reste vom Frühstück standen, stapelweise professionelle Fotozeitschriften: Das war das zauberhafte Bild, das den Besucher empfing.
    Es war niemand da.
    Die Ermittlungsbeamtin ging weiter und nahm die Staubmäuse wahr, die sich vor den Wandleisten angesammelt hatten. Sie durchquerte einen zweiten Raum, der genauso schmal war wie der erste und völlig leer. Dann einen dritten Raum genau dahinter. Ganz hinten befand sich eine angelehnte Tür, wie eine Einladung. Technomusik drang durch den Türspalt, untermalt von Ausrufen.
    »Das ist es, meine Süße!«; »Weiter so!«; »Mach dich ganz locker!«
    Julia folgte den Geräuschen.
    »Du bist schön, du bist wunderbar …«; »Jaaaa …«
    Sie gelangte zu einer Art Plateau, das kaum größer war als der Raum. Keine Möbel, nur ein paar an die Wand gelehnte Klappstühle. Lange Kabelschnüre schlängelten sich über den Boden und liefen bei einem hell erleuchteten Podest zusammen. An der Seite waren drei Heizkörper angebracht, die mit einer Wand aus roten Glühfäden gegen die polare Kälte ankämpften.
    Auf diesem improvisierten Podium nahm ein vollkommen nacktes junges Mädchen im Rhythmus der Synthesizer laszive Posen ein. Mit gespreizten Schenkeln, die Beine angehoben, stellte sie ihre Vulva zur Schau und grinste dabei idiotisch. Ein Typ gaukelte wie ein Schmetterling um sie herum, den Fotoapparat vorm Auge. Er hatte halblange, von einem Gummiband zusammengehaltene Haare.
    Als das Model Julia sah, erstarrten ihre Gesichtszüge. Ihr Pygmalion brüllte los, ohne mit dem Fotografieren aufzuhören:
    »Scheiße, haben Sie nicht das Schild gelesen? Hier wird gearbeitet!«
    Eine bösartige, hektisch schrille Stimme. Koks, dachte die Ermittlungsbeamtin. Der alte Affe in der Modelagentur hatte ihr ja schon vom schlechten Ruf des Fotografen erzählt. Vielleicht hatte er ja doch nicht übertrieben.
    Der Kerl wandte sich wieder seinem Model zu.
    »Los, mein Schatz, nicht aufhören. Du bist zauberhaft.«
    Julia ging zu der Mini-Hifi-Anlage, die auf einem Metallschemel stand. Sie beugte sich hinunter und zog das Kabel aus dem Stecker.
    Plötzlich herrschte eine durchdringende Stille. Einen Moment war alles in der Schwebe wie in dem Augenblick zwischen Blitz und Donner.
    »Ja sind Sie irre oder was?«, brüllte der Fotograf.
    Er war vom Podium gesprungen und eilte wutentbrannt auf den weiblichen Eindringling zu. Wäre da nicht dieser böse Blick gewesen, man hätte ihn charmant finden können. Groß, gut gebaut, modische Jeans und Lederjacke. Das Gesicht hatte Charakter, war scharf geschnitten wie das eines römischen Kaisers. Ein knallharter Bursche, einer von denen, die sich in den Problemvierteln als Freiberufler verdingen können.
    Die Polizistin wartete ruhig ab, bis er bei ihr war. Ihr Ausweis sorgte dafür, dass er wie angenagelt stehen blieb.
    »Jetzt beruhigen wir uns erst mal. Klar?«
    Der Mann erstarrte. Er sah Julia einen Moment lang an wie ein wildes Tier, das noch zaudert, bevor es durch die Flammen springt.
    »Sind Sie Lorenzo?«, fragte die Polizistin.
    »Und Sie, wer sind Sie?«
    »Leutnant Drouot. Kripo Avignon.«
    »Was wollen Sie?«
    Er zeigte keine Angst, keine Unterwürfigkeit. Nur die virile Präsenz eines testosterongeschwängerten Machos. Er sah keine Polizei vor sich. Bloß eine Frau.
    »Ich komme wegen Lucie. Lucie Barmont.«
    Er seufzte, als sei der Name ein Synonym für Schlamassel. Dann drehte er sich zu dem Mädchen um, das noch immer geduldig den Hintern in die Luft reckte.
    »Geh dich anziehen. Wir machen später weiter.«
    Dann drehte er sich wieder zu Julia um und sagte ein wenig kleinlauter:
    »Wo liegt das Problem? Sie ist volljährig oder etwa nicht?«
    Wahrscheinlich hatte er es mit ihr getrieben. Die Dinge waren schiefgelaufen. Jetzt fürchtete er, das Mädchen wollte ihm einen Strick daraus drehen.
    »Für mündig erklärt. Aber das ist jetzt auch egal.«
    Seine Miene entspannte sich ein wenig. Lorenzo wusste offenbar nicht, was passiert war.
    »Lucie wurde in der Nacht von Sonntag auf Montag

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