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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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sie zum Verkauf zu zwingen. Er ließ sie in Begleitung ihrer Großeltern hinfahren und zahlte weiter die Rechnungen.
    Zwanzig Minuten lang ging es über Asphalt, ein ungewohnter Eindringling, der mit seinen Lichtern den Schleier des Dunkels durchbohrte. Rundum ragten die langen Schatten der Buchen und Tannen wie eine Armee von Ghuls in der Dunkelheit auf.
    Schließlich kam die Abzweigung. Der Polizeibeamte hielt bei dem Weg an, der unter den Bäumen verschwand. An dieser Stelle gab es kein Hinweisschild, nur eine dicke Holzschranke, über der geschrieben stand, dass die Durchfahrt hier verboten war.
    Jemand hatte sie hochgeklappt.
    François schaltete den Motor aus und atmete tief durch. In seinem Kopf ging alles durcheinander. Er erinnerte sich, wie sie freitagabends immer hier angekommen waren. Die beiden Frauen seines Lebens schliefen im Auto, eingehüllt von Bachsuiten. Die süße Benommenheit dieser Augenblicke, in denen nach der Erschöpfung endlich die Entspannung kam und die den Auftakt zu zwei oder drei Tagen vollkommenen Glücks darstellten.
    Dann dachte er an Charlotte. An das Grauen, dessen sie sich schuldig gemacht hatte. Ein Wahnsinn, den er einfach nicht verstehen konnte und der ihn zu diesem Weg geführt hatte, der aussah wie eine Sackgasse.
    Das Ende eines Kreislaufs.
    Das Ende des Weges …
    Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als könne diese einfache Geste die Anspannung vertreiben. Seine Tochter hatte ihn hierhergelockt. Sie behauptete, ihn nicht zu brauchen. Er glaubte nicht daran. Ihr Brief war ein Hilferuf. Vielleicht gab es noch eine Chance, sie zu retten. Er war Polizist. Niemand wusste etwas. Er hatte die Mittel, ein bisschen was zu drehen, Beweise verschwinden zu lassen, seine Kollegen auf eine andere Fährte anzusetzen. Und dann würde er sich um sie kümmern. Er würde sie behandeln lassen. An einem anderen Ort. Egal wo.
    Aber zunächst musste er das alles verstehen.
    Das war alles, was er sich wünschte.
    Er startete den Motor wieder und verschwand im Hochwald. Dicker, dichter Nebel umgab ihn. Er schaltete die Scheinwerfer aus und ließ nur noch das Standlicht an. Die Sichtweite betrug weniger als zwei Meter. Er konnte kaum die Spuren erkennen, auf denen der Touareg fuhr.
    Er krampfte die Hände ums Steuer. Zu beiden Seiten der Schneise lag der Wald mit seinen Geheimnissen. Eine schwarze Masse, in der es raschelte und zuckte.
    Es ging leicht abwärts, dann um eine Ecke, er tastete sich blind durchs Dunkel. Von rechts waren Vogelschreie zu hören. Seine Windschutzscheibe war von einem feuchten Schleier bedeckt. Er fuhr am See vorbei. Nach ein paar hundert Metern drang ein Lichtschein durch die Dunkelheit. Das war die Außenlampe über der Treppe, umgeben von einem orangenen Schein. Charlotte hatte sie eingeschaltet wie ein Signal, eine Einladung.
    Nach und nach tauchten die Umrisse des Anwesens auf, in eine milchige Haut gekleidet. Ein altes, großes Bauernhaus nach Art der mittelalterlichen Zimmermannsleute gebaut. François erschauerte, als er die Fachwerkfassade erblickte, das Satteldach aus Ziegelsteinen, die alten Backsteinwände mit den Wurmmotiven. Er hatte das Gefühl, die Zeit schrumpfe zusammen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – das hatte alles keine Bedeutung mehr. Es gab nur einen einzigen, auf ewig versteinerten Albtraum.
    Als er näher kam, entdeckte der Polizist zwei vor dem Eingang parkende Autos.
    Er stellte den Motor ab und blieb auf der Stelle stehen.
    Charlotte war nicht allein. Er erinnerte sich an die Anrufe, die auf den verschiedenen Prepaid-Handys hin und her gegangen waren. Eine Verschleierungstaktik. Er hatte das ungute Gefühl, dass sie die anderen hatte kommen lassen. Dann wäre die Sache wenigstens klar. Die ganze Bande säße beisammen, bereit für das große Finale.
    Er zückte seine Glock, stieg aus dem Wagen, schloss leise die Tür und ging los. Er war angespannt. In seinem Kopf wirbelte alles durcheinander, und sein Herz schlug wie wild. Die Kälte war seine Begleiterin, die Finger ihrer eisigen Hand schlossen sich um seinen Hals, und seine Muskeln verkrampften.
    Der Profiler schlich sich so nah wie möglich heran, blieb im Schatten einer alten Eiche stehen und sah sich die Autos an. Das erste, ein brandneuer Audi A3, trug das Kennzeichen des Départements Isère. Cazenove, mit Sicherheit. Das zweite, ein abgewrackter 205er, stand direkt davor. Das Kennzeichen war nicht zu erkennen, aber er wusste, wem es gehörte. Dem dritten Treiber, dem aus

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