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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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prüfte das Magazin. Wie die meisten Polizisten benutzte sie eine Sig Sauer P 2022, eine 9-mm-Parabellum, Schweizer Fabrikat, die vor Kurzem die berühmte, aber veraltete Manurhin MR 73 abgelöst hatte. François benutzte am liebsten seine Glock. Kaliber .23 mit Polymer-Griffstück, kompakt, leicht und ästhetisch, deren Gewicht er fast nicht spürte.
    »Noch eine Frage«, warf Julia unverfänglich ein.
    »Ja?«
    »Warum hat er sie zerstückelt?«
    Für François gab es mehrere mögliche Erklärungen. Das Zerstückeln verwies auf den psychischen Strukturverlust des Mörders; auf die Weigerung, sich in den symbolischen Augenblick, in dem er das Gesicht stahl, dem Anblick eines menschlichen Wesens stellen zu müssen; oder noch prosaischer betrachtet war es Wut, die Folge eines Schuldgefühls, das er aufgrund seiner Triebe empfand und nun, weil diese Wut nicht länger auszuhalten war, auf sein Opfer richtete.
    Der Psychologe entschied sich für eine Antwort, die irgendwo dazwischenlag.
    »Jedenfalls ganz bestimmt nicht deshalb, weil er sie dann besser transportieren konnte. Sonst hätte er das auch getan. Er wollte sie zerstören, bevor er ihr die Gesichtszüge raubte, denn das war das Einzige, was ihn an ihr interessierte.«
    »Dann hätte es doch schon ausgereicht, sie zu töten.«
    »Nein, er musste das Bild ihres Körpers auslöschen. Das mit Geschlechtsmerkmalen belegte Bild. Dieser Anblick dürfte unerträglich für ihn gewesen sein.«
    Julia schien den letzten Satz nicht mehr gehört zu haben. Sie war plötzlich angespannt, eine Jägerin kurz vor dem Wildwechsel.
    »Fahren Sie nach rechts.«
    François bog in eine etwas schmalere Gasse ein. Sie näherten sich ihrem Ziel. Noch hundert Meter. Es gab immer weniger Menschen.
    »Die Nächste dann links.«
    Ein Gässchen. Einfamilienhäuser, kleine Mehrfamilienhäuser, eine reine Wohngegend.
    »Wir sind da. Langsam …«
    Er fuhr im ersten Gang und war jetzt ganz auf die nächsten Minuten konzentriert. Julia sah sich jedes Nummernschild an.
    »Da.«
    Sie zeigte auf einen weißen Mégane, Modell Break, der vor einer kleinen Holztür parkte. Dahinter ein hübsches, von einem Garten umgebenes Haus. Alle Fenster waren erleuchtet.
    Marchand fuhr vorbei, ohne anzuhalten, fand etwas weiter einen Parkplatz und schaltete die Scheinwerfer aus. Aus Gewohnheit prüfte er das Magazin seiner Glock.
    »Haben Sie einen Plan?«, fragte Julia.
    »Wir gehen noch einmal ums Haus, damit wir sicher sein können, dass es nicht noch andere Ein- und Ausgänge gibt.«
    »Und dann?«
    »Dann geben wir uns zu erkennen.«
    »Und wenn er nicht allein ist?«
    »Glauben Sie, er hat Familie?«
    »Warum nicht?«
    »Dann wird es noch einfacher sein.«
    Die Antwort schien sie nicht zu beruhigen. François schlug weiter einen autoritären Ton an, um zu vermeiden, dass sie ins Grübeln kam.
    »Haben Sie Ihr Handy ausgeschaltet?«
    Sie sah nach.
    »Ja.«
    Er holte seines heraus und schaltete es ebenfalls aus. Er hatte das unangenehme und seltsame Gefühl, auf Eiern zu laufen, nicht an seinem Platz zu sein.
    Obwohl er sich alle Mühe gab, war er nicht überzeugt davon, dass sie die richtige Spur gefunden hatten.
    13
    Ein eisiger Wind hatte sich erhoben.
    François schlug den Mantelkragen hoch, und Julia machte ihren Anorak zu. Zwei Schatten, denen die Kälte bis auf die Knochen drang, verloren im Sturm eines mondlosen Abends …
    Das Einfamilienhaus, ziemlich groß, war ein neueres einstöckiges Gebäude, umgeben von einem Garten, in dem der Winter seine Spuren hinterlassen hatte. Das Eingangstor war nicht abgesperrt. Sie überquerten einen verkümmerten Rasen, bevor sie ums Haus gingen. An der Rückseite waren alle Fenster geschlossen. Auf den ersten Blick gab es keinen Notausgang.
    Der Kommissar dachte sich schnell eine Taktik aus.
    »Sie werden jetzt klingeln. Dann geben Sie vor, nach dem richtigen Weg zu suchen. Bei einer jungen Frau wird keiner Misstrauen schöpfen. Ich werde danebenstehen. Wenn er aufmacht, schnapp ich ihn mir.«
    »Und wenn er bewaffnet ist?«
    »Dazu hat er keinen Grund. Er fühlt sich nicht in Gefahr. Auf alle Fälle wird es schnell gehen.«
    Sie steckte ihre Waffe wieder ins Holster und atmete tief durch. Marchand folgte ihr bis zur Eingangstür und stellte sich dann auf die rechte Seite, sodass man ihn durch den Spion nicht sehen konnte. Als sie auf die Klingel drückte, hob er seine Glock.
    Ein paar Sekunden verstrichen, dann hörte man einen Schlüssel im Schloss, dann eine

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