Wer Boeses saet
nachzuforschen, ich hab ihn.«
»Wie bitte?«
»Den Besitzer des Mégane. Es ist tatsächlich der Mann, der Lucie vor dem Café angesprochen hat.«
Sie klappte ihr Handy wieder zu.
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.«
»Was machen wir jetzt?«
»Wir schnappen ihn uns.«
Sie machte ein Gesicht, als habe sie seine Strategie durchschaut.
»Sie wollen Devaux nicht Bescheid sagen, stimmt’s?«
»Nein.«
»Aber wie es aussieht, leitet er diese Ermittlung, solange nichts Gegenteiliges beschlossen wird.«
»Ach ja?«
»Und er könnte die Unterstützung der Sondereinheit zur Terrorismusbekämpfung bekommen.«
François ließ ihre Einwände nicht gelten.
»Wir sind zu zweit, und der Verdächtige erwartet uns nicht. Das genügt vollauf, um eine Befragung zu rechtfertigen.«
12
Das schien alles viel zu einfach.
Eine Ermittlung, die innerhalb von achtundvierzig Stunden abgeschlossen wurde, mustergültige Zeugen, ein Mörder, der aufgrund seines Autos identifiziert werden konnte. Nach Stephens Enthüllungen hatten sie nur noch dem roten Faden folgen müssen.
Hénon hatte einmal behauptet, die einfachsten Lösungen seien oft die besten. François glaubte nicht daran. Außerdem passte diese Theorie auch nicht ins Gesamtbild. Der Mann hatte viele Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Er hatte das Internet benutzt, eine komplexe Strategie ausgearbeitet, alles getan, um unsichtbar zu bleiben. In Anbetracht dieser Fakten schien ein Fehler kurz vor dem Ziel nicht logisch zu sein.
Aber wie auch immer die Bedenken aussehen mochten, François hatte nur diese eine Fährte. Und der Besitzer des Mégane hatte sich auf jeden Fall verdächtig gemacht. Er hatte sich mit Lucie unter dem Pseudonym Léo verabredet, hatte das Café nicht betreten und sie erst angesprochen, als sie wieder herauskam. Ob er nun schuldig war oder nicht, er würde sich rechtfertigen müssen.
Der Touareg fuhr aus dem Gewerbegebiet heraus und dann auf die Bundesstraße. Es war bereits dunkel geworden, und es herrschte eine geradezu anorganische Kälte. Alle hundert Meter stand eine Straßenlaterne und tauchte den Asphalt in ein irreales bleiches Licht. Julia, die vom Dämmerlicht verschluckt wurde, spielte immer noch den Lotsen. François konnte nur noch ihre etwas raue Stimme hören, die für Vertraulichkeiten wie geschaffen war. Plötzlich stellte sie eine Frage, auf die er nicht gefasst war:
»Was ist das Ihrer Meinung nach für einer?«
Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er antwortete.
»Ich nehme an, ein Perverser.«
»Mit einer sexuellen Perversion?«
»Ja, genau.«
Sie war erstaunt.
»Aber wir wissen doch nicht einmal, ob das Opfer vergewaltigt wurde.«
»Das müssen wir auch nicht unbedingt wissen.«
»Nein, aber das hilft schon mal …«
François spürte die Ironie und beschloss, sie in ihre Schranken zu weisen.
»Ich glaube nicht, dass Sie wissen, was sich genau hinter diesem Begriff verbirgt.«
»Erklären Sie’s mir. Ich bin ganz Ohr.«
»Eine Perversion im klinischen Sinne ist ein Verteidigungsmechanismus, den ein Subjekt entwickelt, um einen Ausweg aus der ödipalen Krise zu finden. Der Perverse ist unbewusst im infantilen Stadium der Geschlechtsdetermination steckengeblieben. Für ihn ist der Geschlechtsunterschied unerträglich, er zieht es vor, ihn zu negieren. Folglich kann er nur Lust finden, indem er sich die Realität zurechtbiegt und seinen Trieb auf ein Objekt, ein Ziel oder eine erogene Zone richtet, die es ihm gestattet, diese Illusion aufrechtzuerhalten. Fetischismus, Homosexualität, Voyeurismus oder Exhibitionismus sind alles Formen einer solchen psychischen Abweichung.«
»Wow! Könnten Sie das jetzt noch mal für Laien wiederholen?«
»Was ich sagen will, ist, dass eine Perversion eine pathologische Störung ist, die weitaus komplexer ist, als unsere Verwendung dieses Begriffs in der Alltagssprache das vermuten lässt. Wenn man an Perversion denkt, vor allem im Bereich der Kriminalität, dann denkt man an Pädophilie, Vergewaltigung, sexuelle Aggression. Dabei übersieht man aber, dass die Lust zwar auf dem Trieb basiert, sich aber nicht gezwungenermaßen im Geschlechtsakt offenbart.«
»Wie denn sonst?«
Julia hatte sich dem Kommissar zugewandt. Er hatte sie mit dieser kleinen Demonstration seiner Stärke beeindruckt.
»Vielleicht auf eine Art und Weise, die sich mehr im Kopf abspielt? Wie bei den Transvestiten und wie in noch größerem Maße bei den Transsexuellen.«
»Sie meinen, er ist ein
Weitere Kostenlose Bücher