Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
Vom Netzwerk:
habe.«
    Ein Seufzer. Dann fragte Hénon:
    »Wie ist ihr Name?«
    »Julia Drouot.«
    »Ist sie hübsch?«
    Absurd, aber bei der Anspielung wurde François ein wenig mulmig. Er antwortete etwas zu barsch:
    »Sie hat ein gutes Gespür.«
    »Sag bloß …«
    »Was ist jetzt, Roger. Heißt das ja oder nein?«
    »Na, mach schon. Aber konzentrier dich trotzdem auf den Fall. Das hier ist kein Spaß.«

    * Salvac steht für »Système d’Analyses et de Liens de la violence associée aux crimes«, ein Computer-Programm, in dem durch einen 168 Punkte umfassenden Fragebogen sämtliche verbrechensrelevanten Fakten erfasst und ausgewertet werden.

II PIERRE

16
    Seidenschnüre.
    Sie bildeten einen kompakten Ball, sahen aus wie die durchscheinenden Windungen eines Gehirns. Ganz langsam wickelten sie sich auf. Lianen hingen ins Leere, zeichneten Arabesken, schienen zu tanzen.
    Diese Wucherungen schlugen ihn in ihren Bann. Sie waren von einem weißen Licht umgeben, strahlend wie ein Heiligenschein. Sie kamen näher, berührten sein Gesicht, sanfter noch als das Streicheln einer Feder.
    Wärme umfing ihn.
    Sein Herz beruhigte sich.
    Plötzlich schlug es wieder schneller. Die Lianen verwandelten sich in Kabel. Starre, mit stacheligen Enden bestückte Kabel, schärfer noch als Stacheldraht. François sah jetzt so etwas wie eine zuckende, immer größer werdende, atmende Geißel. Sie war von einer bösen Kraft beseelt. Die Bewegungen waren abgehackt, nervös. Die Tentakel legten sich um seinen Hals. Klingen bohrten sich in sein Fleisch. Er spürte den kalten Biss des Stahls. Sie drückten zu. Er schnappte nach Luft. Die Angst wurde übermächtig. Er wollte brüllen. Kein Laut kam aus seiner Kehle.
    Und trotzdem hörte er dieses Röcheln. Es war unmenschlich. Er schien von nirgendwoher zu kommen, aber François wurde sich nach und nach dessen bewusst, dass er selbst es war, der röchelte. Er öffnete die Augen. Seine Nase war ins Kissen vergraben. Sein Mund ebenso. Er war kurz vor dem Ersticken.
    Im letzten Moment bäumte Marchand sich auf. Ein beklemmendes Gefühl. Er hatte keine Ahnung, wo er war. Dann nahm die Umgebung allmählich wieder Gestalt an. Die Wand, der Tisch, das Fenster. Seine Tasche lag auf dem Stuhl neben dem Bett …
    Avignon.
    Das Hotel, das Julia ihm empfohlen hatte.
    Die Ermittlung.
    Der Profiler schaltete die Nachttischlampe ein. Er war schweißgebadet. Er schnappte sich die Bonbonschachtel auf dem Nachttisch. Seine Hände zitterten, als er nach den Xanax-Tabletten suchte. Er schluckte zwei und streckte sich wieder aus. Langsam, wie bei einer Überblendung, löste sich das überschüssige Adrenalin auf.
    Wie oft hatte er diesen Albtraum schon gehabt?
    Nach Dianes Tod hatte es angefangen, und er wurde ihn mit keinem Mittel wieder los. Jedes Verbrechen erweckte ihn zum Leben. Wie ein kleiner Stich, der ihn daran erinnern sollte, dass seine Trauerarbeit noch nicht abgeschlossen war. Und seine Schuld hatte er schon gar nicht abgetragen.
    Er wartete noch ein bisschen, bevor er aufstand. Er musste sich erst wieder mental auf die Wirklichkeit einstellen.
    Ein zweiter Mord.
    In zweihundert Kilometern Entfernung.
    Eine andere Vorgehensweise, aber eine vergleichbare Grausamkeit.
    Hénon hatte das Gefühl, dass eine Verbindung bestand. Die Jagd ging weiter.
    Er sah auf die Uhr – acht Uhr dreißig. Das Schlafmittel hatte ihn so außer Gefecht gesetzt, dass er zehn Stunden geschlafen hatte. Er war ins Nichts abgetaucht und dann brüllend wieder daraus erwacht. Und jetzt war er zu spät dran.
    Er schnappte sich sein Handy und wählte Julias Nummer. Es klingelte zweimal, dann hörte er die energiegeladene Stimme der jungen Frau.
    »Gut geschlafen?«
    »Ein bisschen zu lange. Wo sind Sie?«
    »Unten. Ich trinke einen Kaffee.«
    Er stand auf und nahm eine Dusche. Dann wählte er Charlottes Nummer. Seine Tochter hatte ihn seit gestern nicht mehr zurückgerufen und damit den Abstand deutlich gemacht, den sie seit Kurzem zu ihm wahren wollte. Sofort schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Um die Uhrzeit dürfte sie schon in der Schule sein. Enttäuscht hinterließ François eine Nachricht und zog sich an.
    Fünf Minuten später ging er glatt rasiert und mit frischem Kampfesmut in die Bar hinunter.
    Julia empfing ihn mit einem Lächeln. Sie saß auf einem hohen Hocker, eingehüllt in ihren Parka, die Sonnenbrille ins Haar gesteckt.
    »Haben Sie die Augen nicht aufgekriegt?«
    »Ich hatte einiges

Weitere Kostenlose Bücher