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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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Polizeibeamten weit und breit nichts zu sehen.
    Vor einer Stunde hatte er Kellermann vom Auto aus angerufen. Der Leiter der Kripo Grenoble hatte ihn mit offenen Armen empfangen. Hier gab es keine Rivalitäten. Alle stellten sich ihm zur Verfügung. Er brauchte nur zu fragen.
    Sie hatten sich im Leichenschauhaus verabredet, im Untergeschoss des Hôpital Michalon, eines weißen Betonkastens im nördlichen Ballungsgebiet. Die Autopsie hatte schon stattgefunden, sie würden sich also auch mit dem Rechtsmediziner unterhalten können.
    Julia hatte diesmal in der Halle warten wollen. Bei ihr war das Maß schon voll, der Kommissar konnte das gut verstehen.
    Die Schleusentür wurde schwungvoll geöffnet. Ein kleiner Mann im Rollkragenpullover und mit einer Fischgrätmusterweste trat vor und streckte ihm die Hand hin.
    »Sind Sie François Marchand?«
    »Ja.«
    »Jean Kellermann. Tut mit leid wegen der Verspätung. Auf der Umgehungsstraße gibt es zur Zeit eine Baustelle.«
    Die Begrüßung war genau so herzlich und offen wie sein Gesicht. Sonnengegerbte Gesichtszüge, der Blick eines Bergbewohners, kristallklar und gutherzig. Auf seiner Stirn kringelten sich kleine graue Löckchen und unterstrichen noch die leichte Sonnenbräune.
    »Kommen Sie aus Paris?«
    Marchand folgte Hénons Anweisungen und log wie gedruckt.
    »Ich bin fast die ganz Nacht durchgefahren.«
    »Roger hat mich heute Morgen angerufen. Wenn ich das recht verstanden habe, sollten eigentlich zwei Beamte kommen …«
    »Leutnant Drouot wollte lieber draußen warten.«
    Ungespielte Verblüffung.
    »Warum? Erträgt er den Anblick von Leichen nicht?«
    »Drouot ist eine Kollegin. Sie setzt sich nicht gerne einem solchen Anblick aus, es sei denn, es ist absolut notwendig.«
    »Verstehe.«
    In seiner Antwort lag keinerlei Vorwurf. Kellermann war zwar mit dem Grauen vertraut, aber er wusste, dass man sich nie daran gewöhnte. Für bestimmte Ermittler war das mitunter ein echtes Handicap.
    François fragte:
    »Weiß man, wer das Opfer ist?«
    »Pierre Jacquet. Ein Gymnasiast. Seit Montagabend als vermisst gemeldet. Seine Eltern haben ihn anhand der Armbanduhr identifiziert.«
    Schon wieder ein Jugendlicher. Marchand trat an die Leiche heran.
    »Wer hat die Leiche entdeckt?«
    »Ein Wachmann. Er drehte seine Runde und dann …«
    »Wie weit sind Sie mit der Tatortanalyse?«
    »Daran wird noch gearbeitet.«
    »Sie haben noch keine Ergebnisse?«
    »Unsere kriminaltechnische Abteilung konnte erst heute Morgen herangezogen werden. Wir haben nicht genug Personal …«
    Kellermann drehte den Kopf. Eine streng wirkende Frau mit dick aufgetragenem Make-up und künstlich blondem Haar hatte den Raum betreten. Sie trug einen weißen Kittel und eine schwarze Hose. Der Grenobler stellte sie vor:
    »Doktor Marie-Hélène Meurteau. Unsere Spezialistin für hoffnungslose Fälle.«
    Kein Lächeln. Man spürte bei dieser Rechtsmedizinerin einen starken Überdruss, sie war schon in dem Stadium angelangt, in dem man nicht einmal mehr den Schein zu wahren versucht. Sie reichte ihm einen Bericht, ein paar mit einer Büroklammer zusammengeheftete Blätter.
    »Zögern Sie nicht, mich zu unterbrechen, falls Sie Fragen haben.«
    Ohne weitere einleitende Worte fing sie an, den Bericht vorzulesen.
    »Person männlichen Geschlechts. Kaukasischer Typus. Verbrennungen vierten Grades an fast der gesamten Körperoberfläche. Wahrscheinlich durch Übergießen mit Benzin. Die Haut weist starke Hautabschürfungen und irreversible Nekrosen auf …«
    Sie hatte eine Brille aufgesetzt und las ohne die geringste Gefühlsregung.
    »Bei der äußeren Untersuchung wurden Fesselspuren an den Handgelenken und Knöcheln festgestellt. Wahrscheinlich stammen sie von Handschellen, denn eine Plastikschnur oder eine Kordel hätten dem Feuer nicht standhalten können. Außerdem gibt es zahlreiche Schnittwunden. Sie wurden mit Hilfe eines Schneidwerkzeugs zugefügt, wahrscheinlich mit einem Messer. Die Schnitte befinden sich vor allem auf den Oberschenkeln, den Armen und dem Unterleib. Sie haben schwere Blutungen bewirkt, und die Wunden sind rissig …«
    Marchand unterbrach sie.
    »Könnten Sie mir diesen Punkt genauer erläutern?«
    Meurteau hob den Blick.
    »Das bedeutet, dass das Opfer den Flammen ausgesetzt wurde, bevor man ihm die Schnitte beibrachte. Andernfalls wären die Wunden kauterisiert.«
    Unvorstellbar. Anders als Hénon angedeutet hatte, hatte der Mörder sein Opfer zuerst verbrannt. Erst dann hatte er

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