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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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genommen?«
    »Sie änderte ständig ihre Meinung. Sie wusste nicht, was sie wollte. Da musste ich den Plan fallenlassen.«
    Der Polizist hörte die Enttäuschung aus seinem Tonfall heraus. Er fragte:
    »Seid ihr zusammen ausgegangen?«
    Kleines Lächeln.
    »Sie möchten wissen, ob ich mit ihr geschlafen habe?«
    »Wenn du so willst.«
    Er zuckte die Schultern.
    »Ich war nicht ihr Typ.«
    »Wie das?«
    »Zu jung.«
    »Hat sie dir das gesagt?«
    »Nicht so deutlich. Aber, na ja … Ich hatte schon begriffen, dass sie eher auf ältere Semester stand.«
    »Wie kamst du darauf?«
    »Wegen der Art, wie sie über ihren Vater sprach. Sie hasste ihn. Deshalb wollte sie sich auch aus dem Staub machen. Aber irgendwie war das seltsam. Man hatte fast ein bisschen das Gefühl, dass sie ihn verehrte. Das nennt man einen Ödipuskomplex. Schon mal gehört?«
    François musste sich ein Lächeln verkneifen.
    »Kannst du mir mehr über ihre Beziehung erzählen?«
    »Ich kenne ja nicht alle Einzelheiten. Sie hat sich für mündig erklären lassen, falls ich das richtig verstanden habe. Ich fand das bescheuert, denn ihre Eltern haben ziemlich viel Kohle und unterstützten sie auch weiterhin.«
    Allmählich wurde klarer, was Lucie antrieb. Sie prostituierte sich zwar, aber ums Geld ging es dabei nicht. Eher um eine Verletzung, die sie wiedergutmachen wollte, indem sie sich an ältere Männer verkaufte. Männer, die einen Vater verkörperten, der ihr wahrscheinlich immer gefehlt hatte.
    François fragte Maxime weiter:
    »Und Stephen? Kennst du den?«
    »Wen?«
    »Ihren Kollegen aus dem Friseursalon.«
    »Nie gehört.«
    Lucie hatte sich völlig abgeschottet. Ihr Leben war wie eine Festung, geschützt durch eine eiserne Mauer. Trotzdem war der Profiler mittlerweile davon überzeugt, dass sich irgendwo in dem Ganzen der Mörder verbarg. Er beschloss, Galthiers Alibi zu überprüfen.
    »Dein Vater hat mir gesagt, er sei am Sonntagabend so gegen halb neun nach Hause gekommen. Kannst du das bestätigen?«
    »Ja, das stimmt. Wir haben ein bisschen was zusammen gegessen und dann ferngeschaut. Er ist gegen zehn Uhr abends eingeschlafen.«
    Prompte Antwort. Und viel zu ausführlich. Sagte er hier eine auswendig gelernte Lektion auf, mit der er Galthier schützen wollte?
    François versuchte ein Ablenkungsmanöver.
    »Sind deine Eltern schon lange geschieden?«
    »Sechs Jahre.«
    »Und du lebst nicht bei deiner Mutter?«
    Der Junge zog an seiner Kippe.
    »Wollte ich nicht.«
    »Ach ja?«
    »Sie ist ein bisschen seltsam …«
    François fragte nicht weiter nach und ließ einfach die Stille ihre Wirkung tun. Nach ein paar Sekunden fühlte der Junge sich gedrängt, eine Erklärung hinterherzuschicken.
    »Sie ist mit einer Frau abgehauen, mit einer Lesbe. Typ Lastwagenfahrerin.«
    Keinerlei Wut. Er schien die Sache verarbeitet zu haben. Konnte offen darüber reden.
    »Und dein Vater?«
    Noch ein Zug an der Zigarette.
    »Bekam ’ne Depression.«
    »Hat er sich behandeln lassen?«
    »Mehr oder weniger. Ist damals zum Psychologen gegangen.«
    »Und heute?«
    »Glaub nicht mehr. Nur die Medikamente nimmt er noch.«
    Unglaublich. Maxime hatte einen gewaltigen innerlichen Abstand zum Drama seiner Eltern. François brachte die Sprache wieder auf das eigentliche Thema zurück.
    »Du schwörst mir also, dass ihr Sonntagabend zu Hause geblieben seid?«
    »Warum sollte ich lügen?«
    Es klang so, als sage er die Wahrheit. Diesmal war der Polizist sich sicher. Maxime verbarg nichts. Bevor er ging, machte François dem jungen Mann noch einmal klar, dass er beim Kommissariat vorbeigehen und dort eine Aussage machen müsste.
    François kam in der Nacht nach Hause. Es wehte ein trockener Wind. Er hatte das Gefühl, in Sibirien gelandet zu sein. Er nutzte die Kälte, um Klarheit in seine Gedanken zu bringen. Maximes Version schien zu stimmen. Sie erhärtete Galthiers Alibi und traf sich mit seiner eigenen Intuition. Diese Fährte hatte ihm noch nie eingeleuchtet, nur Julia war davon überzeugt.
    Und das hieß jetzt: Sie würden noch einmal ganz von vorn anfangen müssen.
    Er lief ein paar Schritte zu seinem Wagen. Der Gedanke an den Mörder verfolgte ihn. Er sah einen böswilligen Schatten mit verschwommenem Gesicht, der herumschlich. Der Schlächter hatte, vorsichtig und organisiert, wie er war, bislang keinen einzigen Fehler gemacht.
    Der Profiler entriegelte die Türen und stieg in das Fahrzeug ein. Einundzwanzig Uhr. Er fühlte sich völlig zerschlagen und

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