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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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den Tod von Diane verantwortlich. Aber je mehr Zeit verging, desto klarer wurde ihm, dass er sich vielleicht geirrt hatte. Auf diesem Weg gab es keine Erlösung, keine Vergebung. Nur das Grauen. Um es zu verstehen, musste er sich ganz darin versenken und den Weg gehen, der nur ihm allein bestimmt war. Den Weg einer Trauer, die kein Gott ihm hätte ersparen können.
    Die Musik verstummte, was ihn wieder in die Realität zurückbrachte. Die Gläubigen zogen sich auf Zehenspitzen zurück, während der Priester seine Stola ablegte. Ein Blick auf Julia bestätigte ihm, dass sie wieder von dieser Welt war.
    Sie traten in den Mittelgang und gingen zum Altar. Ihre Schritte hallten auf den Steinfliesen wider und verstärkten noch die steife Atmosphäre, die an diesem zeitlosen Ort herrschte.
    In den Nischen standen Gipsstatuen, die sie mit ihren toten Augen ansahen. Weit oberhalb ihrer Köpfe färbten biblische Fresken die Decke bunt ein.
    »Pater Jean-Luc?«
    Der Geistliche drehte sich um. Er war etwa dreißig Jahre alt, hatte kurzes, schwarzes Haar, und der Haaransatz in seinem scharfkantigen Gesicht war sehr tief. Ein ekstatischer Glanz leuchtete in seinen blassen Augen, die auf eine irritierende Weise gutmütig wirkten.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    Marchand streckte ihm seinen Ausweis hin.
    »Wir würden gerne mit Ihnen sprechen.«
    »Es geht um Pierre, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Er schloss die Lider. Aller Schmerz der Welt schien sich auf seine Schultern gelegt zu haben. Als er die Augen wieder öffnete, hatte François das Gefühl, einem Märtyrer ins Gesicht zu schauen.
    »Kommen Sie mit mir.«
    Sie durchquerten den Chor bis zu einer kleinen Tür, die hinter einem Vorhang aus purpurfarbenem Samt verborgen lag. Pater Jean-Luc bat sie in einen winzigen fensterlosen Raum, der wie eine Abstellkammer wirkte. Auf einem Tisch standen Kelche aufgereiht, daneben lagen die priesterliche Stola sowie mit Hostien vollgestopfte Plastiktüten. Er öffnete einen Schrank, nahm sein Messgewand ab und hängte es auf einen Kleiderbügel. François war überrascht zu sehen, dass er eine schwarze Jeans, ein weißes Hemd und einen grauen Pulli trug. Er hatte eigentlich eine Soutane erwartet, wie sie zu der Zeit üblich war, als seine Mutter ihn bei den Pfadfindern angemeldet hatte.
    Ohne ein Wort zu sagen, öffnete der Priester eine weitere Tür in einen Garten, in dem ein kleines Häuschen stand. Mit lebhaftem Schritt führte er die Polizeibeamten zu dem Gebäude, das das Pfarrhaus war.
    Das Haus des Pfarrers war sehr schlicht. Zumindest soweit François das sehen konnte. Die Kirche hatte geheime Bankkonten in der Schweiz, aber ihre Soldaten führten ein einfaches Leben. Der Geistliche bat sie in einen hellen Raum, der mit ein paar Stühlen und einem Schreibtisch möbliert war. An die Wände gepinnte Plakate mussten als Dekoration herhalten: Gebetskreise, katholische Vereinigungen, Spendenaktionen, Pilgerfahrten …
    Pater Jean-Luc setzte sich in seinen Sessel. Über diesem prangte ein aus rotem Holz geschnitztes Kruzifix.
    »Entschuldigen Sie, aber … ich bin so etwas nicht gewohnt. Wie wird diese Vernehmung ablaufen?«
    Diesmal war es Julia, die ihn aufklärte.
    »Das ist keine Vernehmung, Pater.«
    »Aha …«
    »Wir nehmen bloß Ihre Aussage zu Protokoll, mehr nicht.«
    »Sehr schön …«
    Sie sah ihn mit einem beruhigenden Lächeln an. François hatte das Gefühl, dass auch ein wenig Ehrerbietung dabei war.
    Er fing an mit den Worten:
    »Pierre ist am Montag hierhergekommen, um an einer Versammlung des MJC teilzunehmen. Wahrscheinlich ist er danach auf seinem Nachhauseweg entführt worden.«
    »Vielleicht, ja …«
    »Er wohnt zehn Minuten von Ihrer Kirche entfernt. Und das bedeutet – falls es sich nicht um eine spontane Entführung handelte, was ich nicht glaube –, dass ihn jemand abgepasst hat.«
    »Ich … Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Das ist ganz einfach. Wer außer seinen Eltern konnte wissen, dass er gegen neunzehn Uhr dreißig das Pfarrhaus verlassen würde?«
    Pater Jean-Luc machte ein ernstes Gesicht.
    »Glauben Sie, dass der Mörder etwas mit unserer Pfarrgemeinde zu tun hat?«
    »Das ist nicht auszuschließen.«
    »Wissen Sie, was Sie da sagen, mein Sohn?«
    »Ja. Und glauben Sie mir, es betrübt mich sehr.«
    Der Priester faltete die Hände und murmelte wie zum Gebet einen kurzen Satz. Als er den Kopf hob, lag etwas Fanatisches in seinem Blick.
    »Das ist unmöglich.«
    »Trotzdem muss ich

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