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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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…«
    »Wenn ich es Ihnen sage, Sie sind auf dem Holzweg.«
    François wusste nicht, was er in dieser Situation tun sollte. Der Pfarrer konnte sich so etwas einfach nicht vorstellen. Im Jargon der Psychoanalyse sprach man hier von Widerstand. Der Geist blockte ab und weigerte sich, der Realität ins Auge zu sehen.
    Julia spürte, dass etwas schieflief, und sprang ein.
    »Pater, ich glaube an Gott und kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann meines Glaubens seinen Nächsten umbringen kann. Aber es ist ein Jugendlicher ermordet worden. Das ist eine Tatsache, und ich kann nichts dafür. So wie ich auch nichts dafür kann, dass der Mörder wusste, wie sein Tagesablauf aussieht. Daher bitte ich Sie: Helfen Sie uns!«
    Sie hatte mit sehr bewegter Stimme gesprochen. Der Eindruck, den Marchand gewonnen hatte, als sie in der Kirche kniete, wurde bestätigt. Es ging ihm dabei ähnlich, er musste sofort an die Jungfrau von Orléans denken. Julia war also gläubig, wahrscheinlich war sie praktizierende Christin. Ihre Zurückhaltung gegenüber dem Vater des Opfers war auf tiefes Mitleid zurückzuführen gewesen. Ihre Hochachtung vor dem Priester war Ausdruck eines offensichtlichen Respekts vor dem Heiligen.
    Pater Jean-Luc musterte sie, und sein Gesicht entspannte sich zusehends. Schließlich fing er an zu sprechen.
    »Sie haben recht, meine Tochter. Der Böse ist listig. Er kann auch die Pforten zum Hause Gottes aufbrechen. Sollte das der Fall sein, werde ich den Herrn bitten, für dieses verirrte Schaf zu beten.«
    »Danke, Pater.«
    »Ihr Dank ist verfrüht. Ich bin mir leider nicht sicher, ob ich Ihnen nützlich sein kann.«
    »Das werden wir sehen …«
    Der Priester lehnte sich in seinem Sessel zurück. Sein starrer Blick blieb eine Sekunde auf dem Kommissar haften, dann wandte er sich wieder Julia zu.
    »Die MJC -Abteilung unserer Pfarrei ist sehr aktiv. Zu ihr zählen an die zwanzig junge Leute zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Jahren, alle hochmotiviert. Sie organisieren verschiedene Aktivitäten mit dem Ziel, durch eine bestimmte Form des Apostolats eine persönliche Läuterung zu erfahren. Zweimal die Woche, montags und donnerstags, findet eine Versammlung statt, die der Ausbildung dient. Ich nehme an, das ist es, was Sie interessiert?«
    »Genau.«
    »In diesen Versammlungen möchten wir eine tiefgreifende Reflexion über die Grundprinzipien der katholischen Kirche durchführen. Der Glaube, die Liturgie, die Sakramente haben dabei natürlich Vorrang. Aber wir befassen uns auch mit Themen, die unsere Kinder angehen, wie etwa die Themen Euthanasie, Abtreibung oder Verhütung. Wir werden darin von den christlichen Eltern unterstützt, die ihre Freizeit dafür opfern, diese Debatten zu moderieren.«
    »Also sind Sie es nicht, der …«
    »Ich bin nur der Supervisor. Die Aufgabe, die ich zu bewältigen habe, ist schwierig. Ich kann nicht überall zugleich sein.«
    »Dann waren Sie am Montag gar nicht da?«
    »Nein.«
    Julia drehte sich zu François um. Mit einem kurzen Nicken ermunterte er sie fortzufahren.
    »Wer leitete die Gruppe?«, fragte sie.
    »Das weiß ich nicht. Da müsste man in meinem Sekretariat auf dem Plan nachschauen.«
    »Sind diese Versammlungen geplant?«
    »Das Programm wird Anfang des Jahres ausgeteilt. Jede Familie erhält ein Exemplar.«
    Interessant. Diese langfristige Planung hatte es dem Schlächter ermöglicht, sich zu organisieren.
    »Wie viele Eltern sind an diesem Projekt beteiligt?«, fuhr Julia fort.
    »An die zehn Ehepaare. Ich kenne sie alle persönlich. Sie sind über jeden Zweifel erhaben.«
    François dachte: Repression und Perversion sind sich gleich. Allzu viel Gutmenschentum führt manchmal dazu, dass die Sicherungen durchbrennen. Er löste seine Kollegin bei der Befragung ab.
    »Haben Sie ihre Adressen?«
    Pater Jean-Luc warf ihm einen bösen Blick zu. Er hatte mittlerweile verstanden, dass der Kommissar ein Ungläubiger war.
    »Die stehen auch auf dem Plan.«
    Ende der Durchsage. Der Austausch funktionierte besser, wenn Julia die Leitung hatte. Sie dürfte das gespürt haben, denn sie nahm die Zügel wieder in die Hand.
    »Könnten Sie uns den geben?«
    Der Pfarrer lächelte sie an, stand auf und verschwand hinter einer Tür. Nach ein paar Minuten kam er mit einem kleinen himmelblauen Heft zurück, das aus einmal gefalteten und in der Mitte zusammengetackerten Fotokopien bestand.
    »Sie haben Glück. Die Sekretärin ist zwar nur morgens da, aber sie ist eine totale

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