Wer Boeses saet
Ordnungsfanatikerin.«
Julia sagte:
»Danke, Pater.«
»Brauchen Sie sonst noch was?«
Diesmal antwortete François.
»Das wird genügen. Fürs Erste jedenfalls …«
23
Zehn Familien.
Alles Menschen, die über jeden Zweifel erhaben waren und Tag und Nacht im Lichte Christi lebten.
Das Beste, was die Kirche zu bieten hatte, ihre Speerspitze.
François hatte mit der Zeit gelernt, dem äußeren Anschein nicht allzu sehr zu vertrauen. Es gab Beispiele genug für pädophile Pfarrer und pyromanische Feuerwehrmänner. Das war sogar der Klassiker. So mancher Einsatz war nichts weiter als ein verzweifelter Versuch, das Tier im Menschen unter Kontrolle zu bringen.
Aber das Tier war immer stärker. Egal welche Strategien angewandt wurden.
Zehn Familien.
Wo sollten sie anfangen?
Das Paar, das die letzte Zusammenkunft geleitet hatte, hatte er von vornherein ausgeschlossen. Das war zu offensichtlich. Da kam man zu leicht dahinter. Beim mehrmaligen Durchlesen des Plans hatte er schließlich den Blick vor allem auf die Themen der Sitzungen gerichtet. Jedes Thema wurde in einem Satz zusammengefasst, der so manchen Philologiestudenten deprimiert hätte: »Der wahre Sinn von Ostern«; »Gibt es einen Gott, oder ist er eine Erfindung des Menschen?«; »Die Grundlagen der christlichen Moral«; »Die Seele« …
Ein Thema war ihm ganz besonders aufgefallen: »Die Wiederauferstehung, Kontinuität oder Bruch?« In den Augen der Kirche war die Wiederauferstehung eine Verwandlung, in deren Verlauf die verführbare menschliche Hülle einer gereinigten Seele wich. War es nicht das, was der Mörder suchte? Wollte er nicht den Körper hinter sich lassen, der ihn so sehr quälte, und in seiner wahren Gestalt wiederauferstehen?
Das Thema war von Guy und Armelle Boiron vorgeschlagen worden, wohnhaft Place Victor-Hugo. Ein kurzer Blick auf sein Navi hatte dem Profiler verraten, dass die Adresse sich ganz in der Nähe befand. Wie wahrscheinlich die von all den Eltern, die Pater Jean-Luc bei seiner Arbeit unter die Arme griffen.
François hatte Julia gebeten, dort anzurufen, bevor sie hingingen. Zum Glück war es Mittwoch. Ein schulfreier Tag. Monsieur und Madame kümmerten sich zu Hause um ihre Kinder, und so konnten die Polizeibeamten gleich einen Gesamteindruck bekommen.
Die Familie wohnte in einer Erdgeschosswohnung mit Vorgarten. Groß, modern, mit großen Fensterfronten versehen. Hier herrschte eine Art ruhiger Frieden wie ein Vorgeschmack auf den Himmel.
Die Hausherrin höchstpersönlich hatte ihnen aufgemacht. Eine schöne, ätherisch wirkende Frau in den Vierzigern, deren natürliches Blond wunderbar zur blassen Iris ihrer Augen passte. Sie trug die Arbeitskleidung einer katholischen Hausfrau: weiße Rüschchenbluse, Perlenkette und graue Flanellhose. In jeder Hinsicht tadellos. Auf dem Arm hatte sie ein kleines Kind, das aussah wie ein Engelchen und sich die Seele aus dem Leib brüllte.
Sie musste fast schon schreien, um den Lärm zu übertönen:
»Kommen Sie herein! Mein Mann ist im Salon.«
Ohne den kleinen Wicht abzusetzen, machte sie auf dem Absatz kehrt. Als sie an der Küche vorbeigingen, bemerkte François fünf oder sechs weitere Blondköpfe, die vor einer Packung BN -Keksen mit Schokofüllung am Tisch saßen.
»Sie kommen etwas ungelegen. Hier wird gerade die Nachmittagsschokolade ausgeteilt.«
Der Tonfall wollte so gar nicht zu dem zerbrechlichen Eindruck passen, den diese Person auf ihn machte. Er war autoritär und bestimmt. Wenn man einen so großen Wurf hüten musste, war eine derartige Resolutheit wahrscheinlich unumgänglich.
Auf einem Ecksofa saß ein Mann, der in eine Ausgabe der Pléiade vertieft war. Trotz des Lärms wirkte er ruhig und konzentriert.
Er stand auf, um die Gäste willkommen zu heißen. Er war groß, schlaksig, in etwa so alt wie seine Frau, sofern man das aus seinen Falten und dem grauen Haar schließen mochte. Aber der allgemeine Eindruck war ein ganz anderer. Ein Pullunder über einem karierten Hemd, eine unförmige Jeans, Sportschuhe. Er hatte das etwas unangenehme und schwer auf ein Alter festlegbare Äußere jener Jugendlichen, die zwar altern, dabei aber keine Männer werden.
»Guy Boiron.«
Ein weicher Händedruck. Bei der Berührung stellten sich Marchand die Haare auf, zumal er ständig daran denken musste, dass es sich hier sehr wohl um den Täter handeln konnte. Der Kommissar trat neben Julia, und zwar mit dem sehr deutlichen Gefühl, dass sie hier zusammenhalten
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