Wer Boeses saet
mussten. Ihnen gegenüber saß das Ehepaar Boiron. Sie: energisch, an der Grenze zum Hektischen. Er: farblos und unauffällig.
Während Madame dem Kleinen den Schnuller der Flasche in den Mund steckte, sah François sich schnell im Zimmer um. Ein niedriger Tisch, auf dem Gesellschaftsspiele herumlagen, ein vollgestopftes Bücherregal, ein Flügel. Kein Fernseher. Er stellte sich vor, wie die Familie an langen Winterabenden beisammensaß und etwas für die Erbauung von Geist und Seele tat. Außerdem würde er darauf wetten, dass die Cherubine an Weihnachten ein kleines Konzert gaben.
»Das ist entsetzlich, was da geschehen ist. Haben Sie schon eine Spur?«
Armelle Boiron war mit quietschenden Reifen vorgeprescht. Das Baby, das an der Flasche hing, hatte sich ihrer Geschwindigkeit angepasst.
»Noch nicht«, antwortete Julia.
Sie waren übereingekommen, dass sie die Vernehmung durchführen sollte. Für dieses sehr besondere Umfeld war sie nach François’ Einschätzung besser geeignet als er.
»Uns fiel auf, dass sowohl Ihr Name als auch der Ihres Mannes auf dem Diskussionsplan des MJC steht.«
»Das stimmt. Wir haben im Oktober ein Treffen geleitet.«
»Ich glaube, dabei ging es um die Wiederauferstehung. Nicht wahr?«
»Ganz genau.«
»Wer hat dieses Thema ausgesucht?«
Sie drehte sich zu ihrem Mann um.
»Warst du das, oder war ich das?«
Zum ersten Mal machte er den Mund auf.
»Ich glaub, ich war das.«
Julia drehte sich ein wenig um die eigene Achse, um zu ihm zu sprechen.
»Warum die Wiederauferstehung?«
»Das ist ein Pfeiler unseres Glaubens. Der entscheidende Akt, der das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit offenbart.«
»Und die uns gestattet, das ewige Heil zu erlangen«, ergänzte Julia.
Die Antwort schien ihn zu überraschen.
»Sind Sie Katholikin?«
»Ja.«
»Praktizierende?«
»Ich gebe mir Mühe.«
Er nickte zufrieden. Sie befanden sich in guter Gesellschaft. Julia nutzte die Gelegenheit, um ganz allmählich auf die Ermittlung überzuleiten.
»Wenn man einmal von dem Dogma absieht, wieso glauben Sie, dass dieses Thema Jugendliche interessieren könnte?«
François ließ Boiron nicht aus den Augen und lauerte auf ein noch so kleines Zucken der Wimpern. Seine Frau antwortete an seiner Stelle:
»Ich verstehe den Sinn Ihrer Fragen nicht, Mademoiselle. Sind Sie nicht gekommen, um mit uns über den jungen Pierre zu reden?«
»Das tue ich doch gerade.«
»Tatsächlich? Den Eindruck hatte ich nicht.«
Sie klang jetzt misstrauisch. Julia ließ nicht locker und wandte sich wieder an den Ehemann.
»Und?«
Er nahm sich Zeit, bevor er mit seiner Interpretation herausrückte.
»Die Wiederauferstehung ist nicht nur ein Werk des Glaubens. Sie ist auch ein Symbol, das in vielen Glaubensvorstellungen vorkommt. Denken Sie an den Mythos des Phönix’, zum Beispiel. Der Vogel, der aus der Asche aufersteht. Für die jungen Leute ist das ein starkes Bild, und es dürfte ihnen verständlich machen, dass das Leben nur eine Folge von Trauerfällen ist. Jeden Tag sterben wir als die, die wir sind, um als andere und – zumindest ist das zu hoffen – als bessere Menschen wiedergeboren zu werden.«
Die Worte, die er wählte, sein Blick auf die Dinge – an dieser Stelle musste François sich einmischen.
»Entschuldigen Sie, welchen Beruf üben Sie aus?«
»Ich bin Psychoanalytiker, warum?«
»Nur so. Ich bitte Sie, fahren Sie fort.«
Er fing an, sich lang und breit über die Trauerarbeit und die Todessymbolik auszulassen. Marchand hörte schon nicht mehr zu. Es war das erste Mal, dass er einem Kollegen begegnete, seit er beruflich eine neue Richtung eingeschlagen hatte. Und das rief verdrängte Erinnerungen wach, Empfindungen, die er für immer in die Archive seines Gedächtnisses verbannt geglaubt hatte. Die Streitgespräche, die Kolloquien, der Meinungsaustausch über schwierige Fälle: Dies war seine eigene Liturgie, und er hatte lange mit seinen Berufskollegen auf diese Art kommuniziert.
»Was denken Sie über die Wiedergeburt?«
Julia ging ihren Weg unbeirrt weiter. Und kam ihrem Ziel immer näher. François sprang auf den fahrenden Zug auf. Er war neugierig, wohin diese neue Methode führen würde.
»Das ist etwas ganz anderes«, erklärte Boiron. »Bei der Wiedergeburt gibt es eine Reihe körperlicher Hüllen, in die die Seele einkehrt. Die Wiederauferstehung dagegen ist eine des Fleisches. In diesem Fall gibt es nur einen einzigen Körper, und dieser lebt ewig.«
Der Profiler
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