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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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faulen Eiern, was auf einen allzu lange misshandelten Verdauungsapparat zurückzuführen war.
    »Wer sind Sie?«
    »Hab keine Angst. Ich möchte mich nur ein wenig mit dir unterhalten.«
    Der mickrige Körper bäumte sich auf.
    »Sind Sie Arzt?«
    Was sollte er hierauf antworten?
    »Nein. Ich bin Polizist.«
    »Habe ich was Böses angestellt?«
    Sie drückte sich aus wie eine Fünfjährige. Ihre Psyche dürfte noch mehr Schaden genommen haben als ihr Körper.
    »Überhaupt nicht«, antwortete der Profiler.
    Léa entspannte sich. Tränen rollten ihr über die Wangen. François fing ihren Blick ein, ihre Augen zwei riesige Kugeln in den Farben der Südsee.
    »Hör mir gut zu, Léa. Erinnerst du dich an die Klinik in der Nähe des Sees?«
    Diese Frage löste Panik aus.
    »Ich will da nicht mehr hin! Ich will nicht!«
    »Das wirst du auch nicht müssen. Das verspreche ich dir.«
    Sie zog die Decke hoch und beobachtete ihn wie ein ängstlicher Spatz. François wiederholte mit sehr sanfter Stimme:
    »Ich möchte nur wissen, ob du dich an Justine erinnerst.«
    »Justine?«
    »Sie war deine Zimmernachbarin in der Klinik. Ich weiß, das ist lange her. Aber es ist wichtig für mich, dass du mir etwas über sie erzählst.«
    »Sie ist tot, ist es das?«
    Dieser Satz überraschte den Kommissar. Angesichts des Zustands der Kleinen war es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie die Nachrichten gesehen hatte.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Es ist das, was sie wollte.«
    »Hat sie dir das gesagt?«
    »Das sagte sie die ganze Zeit.«
    »Warum wollte sie sterben?«
    »Einfach so … ohne Grund.«
    Eine absurde Antwort, aus der die Verzweiflung sprach, das Unbehagen am Leben. François lenkte ihr Gespräch wieder aufs Konkrete.
    »Der Doktor hat mir erzählt, dass es ihr besser ging, als sie die Klinik verließ. Wie siehst du das?«
    Léas Augen wurden ganz groß.
    »Besser?«
    »Justine ist doch wieder nach Hause gekommen, oder?«
    Ihr Lagunenblick verschleierte sich.
    »Ja … Ich ja auch …«
    Der Profiler spürte eine Traurigkeit, die ihn erschaudern ließ. Auf ihrem Weg gab es keinen Ausweg. Nur den Tod. Der Ersehnte, Herbeigerufene.
    Er musste sich zusammennehmen, um weitermachen zu können.
    »Erzähl mir von der Klinik. Was habt ihr da den ganzen Tag lang getan?«
    »Ich erinnere mich nicht mehr …«
    »Seid ihr im Park spazieren gegangen?«
    »Manchmal …«
    »Habt ihr an Aktivitäten teilgenommen?«
    »Ich glaube schon …«
    Sie antwortete rein mechanisch. Die Krankheit schien ihr Erinnerungsvermögen beschädigt zu haben.
    »Hatte sie außer dir noch andere Freunde?«
    Léa schluckte schwer. Es war fast so, als könnte man hören, wie sich der Kehldeckel beim Schlucken auf den Kehlkopf legte.
    »Ich weiß nicht …«
    »Kamen Leute sie besuchen?«
    »Vielleicht …«
    Das Reden fiel ihr immer schwerer. Léa war erschöpft. Marchand strich ihr zärtlich über die Stirn. Sie seufzte, als würde die Geste sie beruhigen.
    Dann schloss sie die Augen.
    Der Polizist wartete. Eine schreckliche Stille erfüllte den Raum. Rundherum diese Puppen, die sie anstarrten, als seien sie bereit, sich auf ihn zu stürzen.
    Dann tauchte das Mädchen wieder an die Oberfläche. Mit hauchdünner Stimme fragte sie:
    »Justine … Ist sie befreit?«
    François wurde es eiskalt. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er begriffen, wie dieses Mädchen im Innersten funktionierte. Léa lebte nur für den Tod. Der Rest hatte keinerlei Bedeutung.
    Er behielt die Wahrheit für sich und murmelte:
    »Ja …«
    Ein Lächeln erhellte die kadaverartigen Gesichtszüge.
    »Sie hatte es uns versprochen. Wenigstens sie hat Wort gehalten.«
    Der Polizist zuckte zusammen.
    »Wem gegenüber hat sie dieses Versprechen geäußert?«
    »Allen Schwestern gegenüber …«
    »Wovon redest du?«
    »Von dem Blog.«
    »Welchem Blog?«
    Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Lider zuckten. Sie war bereits wieder auf dem Weg in ihre von Albträumen bevölkerten Landschaften. François beugte sich über sie.
    »Léa?«
    »Hm …«
    »Was ist das für ein Blog?«
    »Das ist … ihrer.«
    »Hast du die Adresse?«
    »Die ist … in meinem … Computer.«
    Dann dämmerte sie weg.
    François ging zu ihrem Schreibtisch und schaltete den PC ein. Ein kleines helles Fenster erleuchtete das Zimmer wie ein Weg ins Jenseits. Er ging ins Internet. Kein Passwort. Léas Mutter wollte wahrscheinlich die Ausflüge ihrer Tochter im Netz überwachen. Falls die Kleine überhaupt die Kraft hatte

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