Wer Boeses saet
geredet.«
»Hör auf, mich für dumm zu verkaufen. Du wolltest mit ihr ins Bett?«
»Nein. Das heißt …«
»Du hättest sie auch nicht von der Kante geschubst.«
Gérald musste unwillkürlich lächeln.
»Na ja, sie war nicht gerade abstoßend.«
Das war bisher alles nichts Überraschendes. Julia bohrte weiter.
»Hat sie mit dir geraucht?«
»Ich hab Ihnen schon gesagt, dass ich nicht rauche.«
Die Ermittlungsbeamtin verdrehte die Augen.
»Jetzt hör mir mal gut zu, Gérald. Wie alt bist du?«
»Fünfundzwanzig.«
»Okay. Wir suchen einen Typen zwischen fünfundzwanzig und fünfzig. Einen Verrückten, der sie gut genug kannte, um sie mitten in der Nacht rauszulocken. Du stehst ganz oben auf unserer Liste, und Shit zu verkaufen wäre ein guter Vorwand gewesen. Du hast also gute Gründe, mir alles zu sagen.«
Der Adonis wurde von einer Welle der Panik überrollt.
»Sie glauben, dass …«
»Ich glaube gar nichts. Momentan ist jeder verdächtig. Bis zum Beweis des Gegenteils.«
Er drückte seine Kippe aus und zündete sich gleich eine neue an. Seine Hände zitterten ein wenig.
»Einverstanden … Ich dröhne mich hin und wieder ein bisschen zu … Das ist nicht gerade weltbewegend.«
»Stimmt. Ich will nur wissen, ob Lucie das auch machte.«
Er ließ die Schultern sinken, als entspanne er sich.
»Sie hat das nicht nur auch gemacht, sie hat mich beliefert.«
Das war was Neues. Lucies Weg war mehr als gewunden. Jetzt tat sich ein ganz neuer Horizont auf.
»Wusstest du, woher sie das Zeug hatte?«
»Ich hab sie nicht gefragt.«
»Dealte sie viel?«
»Glaub kaum. Sie half nur hin und wieder ihren Freunden aus.«
»Woher weißt du das?«
»Hat sie mir selbst gesagt.«
»Kennst du sie, diese ›Freunde‹?«
»Nein. Die hielt sie völlig unter Verschluss.«
Wieder auf dem Abstellgleis. Das war frustrierend. Immer ging das Licht aus, bevor sie den Weg sehen konnte.
»Wo seid ihr euch begegnet?«
»In der Agentur.«
»Welcher Agentur?«
»Class Mode. Ich bin Mannequin.«
Daher die vielen Fotos, dieser ganze widerliche Narzissmus. Jetzt verstand Julia das alles schon besser.
»Lucie wollte Mannequin werden?«
»Sie fing gerade an. Nicht einfach bei ihrer Größe.«
»Zu klein?«
»Ja … Aber die hatte Biss. Sie kam bei Jean-Louis immer wieder damit an.«
»Wer ist Jean-Louis?«
»Gott Vater. Das ist der, der entscheidet, ob du arbeiten darfst oder nicht.«
Julia merkte sich den Namen. Wieder ein neues Puzzleteilchen. Sie sah auf ihre Uhr – einundzwanzig Uhr. Es war besser, bis morgen zu warten, um an seiner Tür anzuklopfen. Außerdem war sie völlig am Ende.
Sie sah diesen Apoll an. Der konnte jedenfalls kein Wässerchen trüben. Unter anderen Umständen hätte er ihr gut gefallen, sagte sie sich. Ein Toy-Boy, nur so für eine Nacht.
Sie stand schnell auf.
François’ Gesicht hatte ihr gerade zugelächelt und sie daran erinnert, dass sie Besseres haben konnte.
38
François drückte die Tür zu seiner Wohnung auf.
Immer wenn er seinen Mantel auszog, seine Waffe und das Holster ablegte, hatte er das Gefühl, eine Rüstung abzulegen. Und seit Kurzem war es ein ganzes Arsenal.
Dabei hatte er diese Umschulung gewollt! Er hatte für diesen Posten gekämpft und lange gewartet, bevor Hénon ihm gab, was er sich gewünscht hatte. Die echte, unmittelbare Konfrontation mit dem Wahnsinn. Oder, wenn er ehrlich war, eine Gelegenheit, alles wiedergutzumachen.
Aber der Preis, den er dafür zahlen musste, kam ihm immer höher vor. Seit fast zwei Jahren war er jetzt schon in engster Berührung mit dem Grauen, verbrachte seine Zeit mit uninteressanten Typen und verlor den Kontakt zu seiner Tochter. Julia hatte das richtig erkannt. Er lebte mit einer Toten. Sein ganzes Leben kreiste um die Erinnerung an Diane, dieses Band, von dem er sich nicht lösen konnte, und diese Schuld, die zurückzuzahlen er sich verpflichtet fühlte.
Eine fröhliche Stimme holte ihn aus seinen düsteren Gedanken.
»Papa? Bist du das?«
»Guten Abend, mein Schatz! Bist du in deinem Zimmer?«
»Ich mache gerade noch etwas am Computer fertig. Ich komme gleich.«
François ging in die Küche. Er öffnete den Kühlschrank, ohne recht zu wissen, worauf er eigentlich Lust hatte. Der Inhalt war ihm keine Entscheidungshilfe. Hühnchenreste, rohes Gemüse, eine ganze Batterie von Milchprodukten, Brot von Poliâne.
Er fragte durch die Wand:
»Hast du schon zu Abend gegessen?«
»Ich hab mir eine Pizza kommen
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