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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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einem neueren Auto angegeben.
    Wer war er? Was machte er mit einem so jungen Mädchen? War es der Wunsch, mit ihr ins Bett zu steigen, wie ihr Vater annahm? Das schien ihr doch eine etwas zu schwache Motivation. Nein, da steckte noch etwas anderes dahinter. Davon war die Polizistin überzeugt, während sie weiter auf der verlassenen Straße durch die dunkle Nacht fuhr.
    Oberhalb der Eisenbahnlinie lag eine kleine Gruppe von Wohnblöcken. Dunkle Kästen, schätzungsweise vier Stockwerke hoch, umgeben von einer Wand aus Grünzeug. Julia fuhr über mehrere Bremsschwellen, den Blick auf die Schilder mit stilisierten Buchstaben gerichtet: »Les Lavandes«; »Les Oliviers«; »Les Pins«; »Les Romarins« … ein Konzentrat an provenzalischer Flora, das über die Realität hinwegtäuschen sollte. In diesem Viertel roch man den toxischen Ausstoß der Müllverbrennungsanlage, die man auf der anderen Seite der Gleise errichtet hatte.
    Sie fuhr ein paar Minuten lang herum, ohne recht zu wissen, wohin, bevor sie auf »Les Genêts« stieß. Die kleinen Balkone und die blitzsauberen Fassaden erinnerten sie an ihre Kindheit. Ein billiges, künstliches Glück, das ihr jetzt Kälteschauer über den Rücken jagte. Als sie gesehen hatte, wie das wahre Gesicht ihres Vaters aussah, hatte Julia dieses Klischeebild zerrissen.
    Sie suchte den Namen auf der Sprechanlage. Leconte, Appartement 32. Ein Knopfdruck. Sofort antwortete eine Männerstimme.
    »Ja?«
    »Polizei. Könnten Sie mir bitte aufmachen?«
    Zögern. Diese Art von Besuch machte den Leuten immer Angst.
    »Dritter Stock.«
    Mit einem lauten Klicken ging die Glastür auf. Julia verschmähte den Aufzug und nahm im Sturmschritt die Treppe. Sie gelangte in ein Treppenhaus, in dem es nach Schimmel roch. Rechts eine angelehnte Tür. Ein großer Brünetter erwartete sie, er war so schön, dass es einem den Atem verschlug. Breite Schultern, schmale Taille und endlos lange Beine, die in einem weißen Trainingsanzug steckten. Sein Gesicht hatte die Reinheit eines griechischen Profils, seine Augen waren wie die einer Katze.
    »Gérald Leconte?«
    »Ja.«
    Julia zeigte ihren Ausweis.
    »Leutnant Drouot. Regionalabteilung der Kripo Avignon. Kann ich reinkommen?«
    »Was ist los?«
    Die Ermittlerin spürte so etwas wie Widerstand. Ihr Instinkt sagte ihr, sie müsse sich vorsehen.
    »Sind Sie allein?«
    »Ja, aber …«
    »Es wird nicht lange dauern.«
    Der Schönling hatte sich kein Stück weit von der Stelle bewegt. Er fragte argwöhnisch:
    »Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?«
    Anstatt zu antworten zückte Julia ihre Waffe.
    »Ist das genug?«
    Er hob sofort die Hände hoch.
    »Ich wollte ja nur wissen …«
    »Jetzt weißt du’s. Los, beweg dich.«
    Er trat einen Schritt zurück und machte den Weg frei. Julia begriff sofort, warum er sie hatte hindern wollen. Im Zimmer roch es nach Cannabis, es stank stärker als bei einem Lagerfeuer.
    »Rauchst du?«
    »Ich? Nein.«
    »Bei dir riecht es nach Shit.«
    »Das ist ein Raumduft.«
    »Also, jetzt ist’s aber gut …«
    Leconte versuchte nicht, den harten Kerl zu mimen. Julia spürte, dass sie nichts zu befürchten hatte. Sie steckte ihre Sig Sauer wieder ein und befahl:
    »Setz dich.«
    Er ging gemächlich auf ein Sofa mit Schachbrettmuster zu, dem Basismodell, das es bei BUT oder bei Ikea zu kaufen gab. Seine restliche Einrichtung stammte von derselben Marke. Funktional, nicht zusammenpassend, ohne besondere Note und billig. Doch etwas überraschte in diesem jämmerlichen Dekor: Die Wände waren von Fotos bedeckt. Darauf war ausschließlich Leconte zu sehen, in allen möglichen Klamotten dem Blitzlichtgewitter ausgeliefert. Von Kopf bis Fuß, in Nahaufnahme, angezogen oder halb nackt …
    Die Ermittlungsbeamtin schnappte sich einen Barhocker, setzte sich vor den jungen Mann und eröffnete die Kampfhandlungen.
    »Ich gehöre nicht zur Drogenfahndung. Ich bin wegen Lucie hier. Lucie Barmont, du erinnerst dich?«
    »Ja.«
    »Du weißt, was passiert ist?«
    »Ja, weiß ich.«
    »Ich komme gerade von ihrem Vater. Er hat mir gesagt, ihr wart befreundet. Kannst du mir ein bisschen mehr über euch erzählen?«
    »Was wollen Sie denn wissen?«
    »Alles.«
    Er schnappte sich ein Päckchen Zigaretten vom Tisch und zündete sich eine an. Gemessene Gesten, die durch die Drogen noch verlangsamt wurden.
    »Ich kannte sie, mehr nicht.«
    »Genauer bitte. Was habt ihr zusammen gemacht?«
    »Nichts. Wir haben uns getroffen. Haben miteinander

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