Wer Boeses saet
bitte die Namen.«
»Jacques Robin, Fanny Thonon, Léa Richœur und … noch mal Justine Crémant.«
Giraud sah François über die Brillengläser hinweg an. Dann wandte er sich wieder an die Schwester.
»Mit wem hatten wir Justine Crémant zusammengelegt?«
Schnelle Suche. Klappern der Fingernägel auf den Tasten. Marchand hatte das Gefühl, ein Chronometer zähle rückwärts.
Dann kam die Antwort.
»Léa Richœur. Sie sind über einen Monat zusammengeblieben.«
36
»Ich weiß nicht, ob …«
»Ich verspreche es Ihnen. Es dauert nur eine Minute.«
François stand auf dem Treppenabsatz, den dreifarbigen Ausweis in der rechten Hand. Eine Frau von den Ausmaßen eines Wales versperrte den Eingang, ihre gelb- und goldfarbene Dschellaba vermochte ihren Leibesumfang kaum zu verbergen. Sie hatte lange blonde Zöpfe, Sommersprossen und türkisblaue Augen. Mit einem Helm auf dem Kopf hätte sie ausgesehen wie eine Walküre.
Er wiederholte seine Bitte energischer.
»Eine Minute …«
Patricia Richœur gab ihre Abwehrhaltung auf.
»Einverstanden. Aber ich muss Sie warnen. Léa ist momentan sehr geschwächt. Kommen Sie rein, aber seien Sie leise …«
Der Kommissar betrat eine gemütliche Wohnung. Ein Dekor wie aus Tausendundeine Nacht , bestehend aus Teppichen mit komplizierten Mustern, niedrigen Möbeln aus geschnitztem Holz und schweren purpurfarbenen Vorhangstoffen. Kupferteller beladen mit Trockenfrüchten: Datteln, Mandeln Aprikosen, Rosinen. Es war wie Riad mitten im Marais.
Léas Mutter brachte ihn bis zu einer Tür im Hintergrund. Auf dem kurzen Weg nahm der Polizist mehrere Düfte wahr, von denen einer so verlockend war wie der andere: der Duft warmer Kekse, dann der etwas stärkere Geruch vor sich hin köchelnden Fleisches, der Geruch von in Butter schwitzenden Zwiebeln und von Knoblauch …
Die dicke Frau kratzte an der Holztür.
»Léa?«
Keine Antwort.
»Da ist jemand für dich.«
Zaghaft drückte sie die Klinke herunter.
»Mein Schatz …«
François trat hinter ihr ins Zimmer. Darin war es eher dunkel wie in einem Grab oder einer Krypta. Der Geruch verschlug einem den Atem.
»Ich bin’s, Léa. Schläfst du?«
Die Walküre hatte mit sanfter Stimme gesprochen. Ihre Hand griff nach einer Halogenlampe und drehte ein klein wenig das Licht auf. François sah zunächst nur einen flimmernden Widerschein in dem Halbschatten. Dutzende von Pupillen sahen ihn an, ausdruckslos, tot.
Das Zimmer erstickte schier in Puppen.
Sie waren entlang der Wand aufgereiht, standen auf dem Schrank, lagen gestapelt auf dem Schreibtisch, saßen im Sessel … Eine stumme Armee schien Wache zu halten.
Er wandte den Blick ab, ihm war unwohl. Er schaute zu dem Bett. Léas Mutter hatte sich an den Rand gesetzt. Sie flüsterte. Ihr monströser Rücken hinderte den Kommissar daran zu sehen, mit wem sie sprach.
Schließlich stand sie auf.
»Sie können jetzt. Aber bitte nicht lange.«
François kam näher. Zunächst sah er zwei Arme, die aussahen wie Knochen und die auf einer Steppdecke lagen. Sie waren wie angenäht an einen geraden formlosen Torso, der in dem himmelblauen Nachthemd verloren wirkte. Der restliche Körper, der verhüllt war, würde vermutlich auch nicht besser aussehen. Man konnte gerade noch die Beulen erkennen, die von den Knien stammten, zwei unter dem Laken vergessene Tennisbälle.
Er biss die Zähne aufeinander und sah in das Gesicht. Die Gesichtzüge waren noch jugendlich – sechzehn Jahre, allerhöchstens siebzehn –, aber von der Magersucht gezeichnet. Die Kieferknochen traten hervor, der Nasenrücken war schärfer als ein Vogelschnabel, die Augenhöhlen waren tief, die Haare wie aus Flachs, und die Zähne lagen bloß. Eine Totenmaske.
Er drehte sich zur Mutter um.
»Warum ist sie nicht in einer Klinik?«
»Das nutzt nichts mehr.«
»Das können Sie so nicht sagen …«
Sie legte ihre Wurstfinger auf den Unterarm des Kommissars.
»Ich versichere es Ihnen. Wir haben alles versucht. Jetzt möchten wir uns lieber selbst um sie kümmern.«
François spürte, dass dem nichts hinzuzufügen war. Kein Urteil, kein Rat, nicht einmal ein Wort des Trostes. Diese Frau war jenseits aller hohlen Phrasen angekommen. Sie war ihren Weg gegangen. Hatte das Unausweichliche akzeptiert.
Er nickte und versprach:
»Ich werde mich kurzfassen.«
Sie lächelte und ging. Er setzte sich nun ebenfalls auf die Bettkante.
»Léa? Hörst du mich?«
Ein dünnes Stimmchen drang an sein Ohr. Außerdem roch es nach
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