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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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andere Ursachen. Es wurzelte in der Lüge, die er die ganzen Jahre aufrechterhalten hatte. Charlotte hatte nie erfahren, was geschehen war. Für sie hatte ihre Mutter einen Unfall gehabt. Daher rührte ihre heutige Sicht der Dinge, und er hatte immer noch nicht den Mut, ihr die Wahrheit zu sagen.
    Er ging diesem Problem einfach aus dem Weg.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll … Du wirkst so …«
    »Denk einfach darüber nach. Das wäre schon mal nicht schlecht.«
    Sie stand auf und verließ das Zimmer. François sah, wie sie im Gang verschwand, und war außerstande, sie zurückzuhalten, außerstande, sie zu beruhigen. Er zuckte zusammen, als er hörte, wie sie die Tür ihres Zimmers hinter sich zuknallte. Es war, als habe man ihn brutal aus einem Albtraum gerissen.
    Fast zur gleichen Zeit ertönte ein schriller Klingelton. Völlig benommen ging er zu dem Bildtelefon der Gegensprechanlage. Ein pickliger Asiate mit Kappe auf dem Kopf starrte in die Kamera, in der rechten Hand eine Pappschachtel der Marke Sushi Express.
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    Blog.
    Ein Wort, das unmittelbar der Internetpraxis entsprungen war und von dem die Wörterbücher lange nichts hatten wissen wollen. Grob gesagt war es eine Art persönliches Tagebuch, das es den Internetnutzern gestattete, online ihr Leben zu erzählen oder ihre Meinung über aktuelle Themen kundzutun.
    Anfangs ließen sich vor allem Jugendliche und unglücklich Verliebte über ihre Gefühle aus. Mittlerweile machten es alle. Künstler, Journalisten, Politiker … Der Blog wurde zu einem echten Kommunikationsmittel, ebenso wirksam wie eine Werbekampagne.
    François saß auf seinem Bett, den Laptop auf den Beinen, das Sushi-Tablett in Reichweite. Er hatte sich in seine Ermittlung gestürzt, wie man in ein warmes Bad eintaucht. Ganz und gar. Mit Haut und Haar. Um zu vergessen, dass sein Leben gerade komplett in die Brüche ging.
    Er tippte die Webadresse ein. In der Mitte ein Foto von Justine, eine Nahaufnahme. Volle Wangen, entschlossener Blick, schwarzer Lippenstift und Khol auf den Lidern. Ein Bild im Stil Marilyn Mansons, sehr weit von dem entfernt, was François gesehen hatte, nachdem er die kleine Léa aufgestöbert hatte. Form und Inhalt der Darstellung passten zu ihrer recht gothicartigen Persönlichkeit: rote, bluttriefende Buchstaben; dunkler, von Blitzen durchzuckter Hintergrund; das Ganze ausgeschmückt mit Grabsteinen, Fledermäusen und Totenköpfen.
    Der Profiler aß ein Lachs-Sushi. Justines Blog sah überhaupt nicht aus wie ein Pro-Ana-Blog, diese Schaufenster zum Wahnsinn, in denen die extreme Magerkeit als freie Wahl proklamiert wurde, als Lebensweise. Und zwar mit gutem Grund. Diese Websites waren erst vor Kurzem, nach dem Tod etlicher Topmodels, die sich dieser Bewegung angeschlossen hatten, gesperrt worden. Wenn man durch die Maschen der Zensur schlüpfen wollte, musste man das sehr geschickt anstellen.
    Er scrollte durch die Seite. Einfach strukturiert, eine Amateurarbeit. Auf der rechten Seite gab es eine Reihe von Icons zu anderen Seiten. In der Mitte eine Reihe nach Datum geordneter Beiträge. Justine breitete schamlos ihr Leben aus, und das in einer sehr einfachen Sprache. Der letzte Beitrag, der in der Liste ganz oben stand, stammte von vorgestern. Er begann zu lesen.
    16. Januar 2009 .
    »Jetzt ist es so weit. Heute Abend. Ich bin bereit. Ich zögere noch, was die Methode angeht. Gar nicht so einfach. Zumal ich ja keine zweite Chance bekommen werde. Wenn ich das vermassle, dann wird die andere Verrückte mir eine Zwangsjacke verpassen. Ich hoffe, die rastet voll aus. Darauf kommt’s zwar nicht in erster Linie an, aber die Vorstellung gefällt mir. Sie geht mir nämlich schon lange auf die Nerven. Die wird bekommen, was sie verdient. Und das Arschloch genauso. Die beiden haben sich echt gesucht und gefunden. Ihr zumindest werdet das verstehen. Ihr wisst es ja. Es gibt keinen anderen Ausweg.«
    Der Polizist blickte hoch. Das Datum stimmte mit dem Tag des Mordes überein, aber Justine schien hier von Selbstmord zu sprechen. Da gab es nicht den geringsten Zweifel. Sie war misstrauisch und sprach nur in Andeutungen, kryptische Worte, die an ihre »Schwestern« gerichtet waren, die würden schon wissen, was sie damit anfangen sollten. Irgendwie hatte auch der Mörder die Information abgefangen. Die Übereinstimmung der Ereignisse war zu eindeutig, um rein zufällig zu sein.
    François sah sich die früheren Beiträge an.
    12. Januar 2009 .
    »Ich kann nicht mehr! Es ist

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