Wer Böses Tut
Weise dem Klischee des graubärtigen, bebrillten Psychiaters, den Tartaglia erwartet hatte.
»Lassen Sie uns in mein Zimmer gehen, da sind wir ungestört«, sagte Williams mit einem geschäftsmäßigen Lächeln. »Den Kaffee dürfen Sie gerne mitnehmen.«
Williams’ Büro lag an der Vorderseite des Gebäudes. Die Jalousien waren heruntergelassen, und die Beleuchtung war gedämpft, was dem Raum trotz der hohen Decke ein gemütliches Flair gab. Ein großer, altmodischer Schreibtisch besetzte die eine Ecke des Raums, und auf der anderen Seite standen neben einer Liege zwei niedrige Stühle aus Chrom und schwarzem Leder einander gegenüber. Zwischen den Stühlen stand ein kleiner weißer Resopaltisch, über dem ein Strahler hing. Alles war sorgfältig inszeniert und erinnerte Tartaglia an eine Talkshow im Fernsehen.
Williams winkte Tartaglia zu einem der Stühle und setzte sich, mit dem Rücken zu den verdunkelten Fenstern, auf den anderen.
»Es ist sehr nett von Ihnen, Dr. Williams, dass Sie uns angerufen haben«, sagte Tartaglia, als er sich setzte.
»Ich hätte mich schon früher gemeldet, aber ich bin gerade erst von einer Reise zurückgekommen. Als ich heute Morgen die Zeitungen sah, war ich schockiert.« Williams’ Gesicht lag im Schatten, und Tartaglia tat sich schwer, darin zu lesen, wenngleich seine tiefe, klangvolle Stimme durch den Mangel an Beleuchtung akzentuiert wurde.
»Wie ich höre, war Rachel Tenison Ihre Patientin.«
»Das ist richtig, bis August letzten Jahres. Ich bin Mediziner, Psychiater, aber ich praktiziere als Analytiker. Ich habe Rachel über einen Zeitraum von ungefähr neun Monaten ziemlich regelmäßig gesehen und war sehr betrübt, von ihrem Tod zu erfahren,
vor allem angesichts der Umstände.« Williams räusperte sich, als wüsste er nicht, wie er fortfahren sollte.
»Man sagte mir, Sie hätten einige Informationen, die für unsere Ermittlungen nützlich sein könnten.«
Williams stützte die Ellbogen auf die Stuhllehnen und legte die Finger unter das Kinn. »Kriminalpsychologie ist nicht mein Gebiet, aber vermutlich ist es genauso sinnvoll, das Profil des Opfers zu erstellen wie das des Mörders.«
»Ja«, sagte Tartaglia, trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. »Es ist für mich allerdings sehr problematisch, mir ein Bild von Miss Tenison zu machen. Ich habe das Gefühl, dass da viel fehlt. Würden Sie mir zunächst sagen, warum sie zu Ihnen kam?«
Williams holte tief Luft. »Wie die meisten meiner Patienten hatte Rachel Probleme mit ihrem Leben. Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat sie ihre nächsten Angehörigen bei einem Unfall verloren, als sie noch sehr jung war. Unabhängig davon, ob es richtig oder falsch ist, sah sie das als ursprünglichen Grund für ihre allgemeine Unzufriedenheit an.«
»Wie oft kam sie zu Ihnen?«
»Für gewöhnlich einmal in der Woche.«
»Das macht ungefähr sechsunddreißig Stunden«, sagte Tartaglia, nachdem er es schnell im Kopf überschlagen hatte. »Sie müssen eine ganze Menge über sie wissen.« Einen Moment lang dachte er an Liz. Ob sie überhaupt von Dr. Williams’ Existenz wusste? »Vor allem interessieren mich ihre persönlichen Beziehungen, Männer in ihrem Leben, diese Dinge. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie ihren Mörder kannte. Auch ein sexuelles Motiv können wir nicht ausschließen.«
Williams nickte langsam. »Ich verstehe, aber so einfach ist es nicht. Patienten, die zu mir kommen, haben ein großes Spektrum an Problemen; sie haben zum Beispiel Schwierigkeiten im
Job oder in der Ehe. Mit der Zeit kommen die wahren Punkte ans Licht, aber nicht immer. Bei Rachel habe ich kaum unter die Oberfläche geschaut.«
»Aber irgendwas über ihr Privatleben ist doch bestimmt herausgekommen«, sagte Tartaglia ungeduldig und hoffte, dass das hier nicht reine Zeitverschwendung war.
»Natürlich. Sie hat über Patrick, ihren Stiefbruder, geredet und dessen Familie. Sie schienen sich sehr nahezustehen. Auf ihren Geschäftspartner, Richard, kam sie regelmäßig zu sprechen, aber es waren meist Belanglosigkeiten und für Sie wahrscheinlich uninteressant.«
»Hat sie erwähnt, dass sie und Richard Greville ein langjähriges Verhältnis hatten?«
Williams lächelte. »Nein. Das hat sie nicht erwähnt, was mich nicht überrascht. Rachel sprach nicht gerne über emotionale Punkte.«
»Aber die Affäre war seit mindestens einem Jahr beendet, wie einige Personen sagten, mit denen wir gesprochen
Weitere Kostenlose Bücher