Wer Böses Tut
all seiner Stoffbahnen und Bettwäsche beraubt und auf den armseligen Holzrahmen und die Matratze reduziert. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, blieb einen Moment lang in der Mitte des Raums stehen und sah sich um.
Die alte Truhe, die Rachels Großvater gehört hatte, war verschwunden, und sie fragte sich, ob die Polizei sie mitgenommen hatte. Sie nahm sich vor, Tartaglia danach zu fragen. Sie ging zu einer der Schranktüren, die offen stand, und schaute hinein. Die vertrauten, dunklen Kleider Rachels hingen dort ordentlich nebeneinander, ihre Schuhe standen akkurat aufgereiht auf dem Gestell darunter. Es war, als wäre Rachel nie gegangen, als würde sie jeden Augenblick hereinkommen, um sich umzuziehen. Ihr Parfum hing in der Luft, zweifellos kam es aus den Kleidern, und Liz schloss schnell die Tür, um es nicht mehr riechen zu müssen.
Beim Anblick ihres eigenen, müden, ungeschminkten Gesichts in dem Spiegel an der Schranktür drehte sie sich um, ging zum Nachttisch und knipste die Lampe an. Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde und setzte sich auf die Bettkante, um auf Tartaglia zu warten. Im Gegensatz zu ihrem eigenen, immer übervollen Nachttisch war der von Rachel beinahe leer bis auf einen elektrischen Wecker, der in der Stille laut tickte, und einen Stapel Bücher. Zuoberst lag eine Hochglanzbiographie von Bess of Hardwick; darunter Irène Némirowskys Suite Française . Die Biographie sah neu und ungelesen aus, doch als sie Suite Française aufschlug, klappte das Buch in der Mitte auseinander, wo eine Postkarte mit dem Bild einer Renaissance-Madonna als Lesezeichen diente. Sie drehte sie um. In einer ausladenden, nach hinten kippenden Handschrift und mit dicker, schwarzer Tinte geschrieben, standen dort die Worte:
Sie erinnert mich an dich. Ich sehe dein Gesicht überall und kann nicht aufhören, an dich zu denken. Warum gehst du nicht ans Telefon? Ich muss dich sehen. Bitte, bitte ruf mich an. Ich liebe dich.
Sie brauchte einen Moment, um die außergewöhnliche Handschrift zu entziffern, und ein halbkreisförmiger Fleck mitten auf der Karte, wo jemand - zweifellos Rachel - ein Glas oder einen Becher abgestellt hatte, machte es noch schwieriger. Die Nachricht war mit einem einzelnen Kreuz unterzeichnet, ohne Datum oder Unterschrift. Die Karte stammte aus der Nationalgalerie, abgestempelt war sie in Paddington vor sechs Wochen.
»Was haben Sie da?«
Beim Klang von Tartaglias Stimmer hinter sich erschrak sie und drehte sich um. Sie hatte ihn nicht hereinkommen hören und fragte sich, wie lange er wohl schon dort stand.
Er kam zu ihr herüber, und sie gab ihm die Karte. »Sie lag in einem der Bücher auf Rachels Nachttisch. Ihre Leute müssen sie übersehen haben.«
Er betrachtete flüchtig das Bild, dann drehte er sie um und las die Worte auf der Rückseite. Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Ist das Miss Tenisons Handschrift?«
»Mit Sicherheit nicht. Und um Ihre Frage gleich zu beantworten: Ich weiß nicht, wer sie geschrieben hat, und ich habe sie vorher noch nie gesehen.«
Siebzehn
»Ich bin sehr gespannt darauf zu erfahren, warum Sie sich gerade für dieses Gedicht interessieren, Sergeant Donovan«, sagte Kate Spicer. In ihren runden, braunen Augen blitzte Neugier, während sie mit der Perlenkette spielte, die um ihren Hals lag. »Meine Sekretärin sagte, Sie ermitteln in einem Mordfall.« Sie betonte das Wort Mordfall mit offensichtlichem Genuss und sprach mit einem abgehackten, leicht australischen Akzent.
»Ich fürchte, ich darf Ihnen nicht viel darüber erzählen«, antwortete Donovan. »Aber das Gedicht ist möglicherweise ein Anhaltspunkt in dem Fall. Wir versuchen, die Psychologie oder die Bedeutung zu verstehen, wenn es überhaupt eine gibt.«
Mit Bechern voll heißem Milchkaffee zu Füßen und Fotokopien des Gedichts auf dem Schoß saßen sie auf dem kleinen, schäbigen Sofa in Professor Spicers mit Büchern angefülltem Arbeitszimmer am Russel Square Nummer dreißig. Das große Gebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert beherbergte die School of English and Humanities des Birkbeck Colleges. Im Gegensatz zu der klaren, klassischen Fassade des Gebäudes war das Innere ein Labyrinth aus Treppen und billigen Trennwänden, das vom ursprünglichen Glanz nichts mehr ahnen ließ.
Spicer trug einen gut geschnittenen dunkelblauen Hosenanzug aus reiner Wolle, war Ende vierzig, Anfang fünfzig und beinahe so klein wie Donovan, allerdings beträchtlich
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