Wer braucht denn schon Liebe
Bemerkung ihr einen Stich.
Ein Liebespaar spielen war etwas anderes als ein Liebespaar sein.
»Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt von einer Eintagsfliege?«, reagierte sie schroff. Unwillig entzog sie ihm ihre Hand, um ihm voraus den Hinweisschildern zu den Waschräumen zu folgen.
Verblüfft kratzte Lorenzo sich über dem Ohr.
So waren die Frauen. Nie begriffen sie, wann ein Mann es wirklich ernst meinte, wenn er sagte, dass ihre Wege sich trennen würden.
»Wenn du fertig bist, treffen wir uns vorne am Haupteingang«, rief er ihr hinterher.
Ohne ihm zu antworten, stieß Karen mit Schwung die Tür zum Waschraum auf. Die Frau, die ihr entgegenkam, quiekte vor Schreck laut auf. Doch ein Blick in Karens grimmiges Gesicht genügte, damit ihr der Protest im Hals stecken blieb.
Mysterium, dein Name sei Weib, wunderte sich Lorenzo, während er misstrauisch die Waschbecken im Herren-Waschraum beäugte. Obwohl eine alte Frau mit schiefergrauen Haaren und unübersehbarem Kropf neben dem Ausgang darüber wachte, dass jeder Kunde auch pflichtgemäß seinen Benutzerzoll von einem Euro bei ihr ablieferte, strotzte es nicht gerade vor Sauberkeit. Zwar hatte er in den vergangenen Tagen große Fortschritte gemacht im ständigen Kampf gegen seinen anerzogenen Reinlichkeitstick, doch nun ekelte er sich. Er wählte das Becken, das er für das sauberste hielt, und schaufelte literweise Wasser mit den Händen über Haare und sonstige Hinterlassenschaften der früheren Benutzer. Dann erst holte er aus seinem Rucksack eine Zahnbürste, um sich mit dem Rest aus seiner Zahnpastatube der intensiven Zahnpflege hinzugeben.
Auch dem Sex mit Karen haftete etwas Schmutziges, aber dafür umso Erregenderes an. Herrliche, unbeschwerte Sexualität ohne Tabus zwischen Fremden, die der Zufall für kurze Zeit zusammengebracht hatte. Niemals zuvor hatte er sich freier, nie glücklicher gefühlt.
Mit beiden Händen klatschte er sich das kalte Wasser ins Gesicht, als ihn plötzlich das unbehagliche Gefühl beschlich, beobachtet zu werden. Er erschrak, als er durch die Finger hindurch im Spiegel eine wohlbekannte bullige, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt erkannte, die sich über dem Waschbecken neben ihm die Haare kämmte: Antonio, sein Freund, Beschützer und Weggefährte.
Es ist vorbei.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Lorenzo, ohne ihn dabei direkt anzusehen. Je weniger Leute um sie herum auf sie aufmerksam wurden, desto besser.
»Ich habe dich nie aus den Augen verloren. Dein Vater hat mich zu deinem Schutzengel ernannt.«
Lorenzo stieß zischend die Luft durch die Zähne. »Ich hätte es wissen müssen.«
»In diesem Fall solltest du ihm dankbar sein. Es hat mich jede Menge Mühe, Überredung und Geld gekostet, dir aus der Patsche zu helfen.« Antonio ignorierte seinen Freund, dessen Augenbrauen warnend in die Höhe schossen. »Übernachtung mit einer halb nackten jungen Dame im Heu, Diebstahl eines polizeilichen Einsatzwagens, Erregung öffentlichen Ärgernisses dank diverser sexueller Handlungen an diversen öffentlichen Orten. Kannst du dir den Skandal ausmalen, wenn die Presse davon erfährt?«
»Mit anderen Worten: Mein Vater ist stocksauer auf mich und verlangt mich sofort zu sprechen«, folgerte Lorenzo grimmig.
»Letzteres dürfte ihm wohl kaum möglich sein«, murmelte Antonio mit gesenktem Kopf und einem Unterton in der Stimme, der Lorenzo aufhorchen ließ.
Doch weil sie keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollten, warteten sie zunächst ab, bis ein junger Vater seinem Sohn, der nicht älter als drei Jahre war, das Kunststück beigebracht hatte, ein Herrenurinal zu benutzen, ohne sich selbst zu bespritzen.
Eine Episode am Rande, über die Lorenzo lächeln musste. Denn ihm selbst war es als Kind streng verboten gewesen, im Stehen zu urinieren. Erst Antonio, der Sohn seines Hauslehrers, mit dem er als einem der wenigen auserwählten Kinder auch offiziell spielen durfte, hatte ihm darin Nachhilfeunterricht erteilt.
»Du verschweigst mir doch was!«, platzte Lorenzo heraus, als die Tür sich endlich hinter den beiden geschlossen hatte.
»Dein Vater, der Fürst, hat einen schweren Schlaganfall erlitten. Deine sofortige Anwesenheit bei Hof wird gefordert.«
Lorenzo fühlte, wie ihm kalt ums Herz wurde. »Wird er durchkommen?«
»Die Ärzte wagen noch keine Prognose. Es ist besser, wenn du dich beeilst!«
»Schon gut! Ich kenne meine Pflicht.« Der harte Klang seiner Stimme ließ die alte Frau am
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