Wer braucht denn schon Liebe
Ausgang aufhorchen. Neugierig schaute sie zu ihnen herüber.
Sein Ausflug in die Freiheit war bereits eine Episode, die der Vergangenheit angehörte.
Ebenso wie Karen.
Nur eine Liebe auf Zeit.
Mehr hätte es ohnehin nie sein können.
Doch sie würde am Haupteingang auf ihn warten. »Wo steht der Wagen?«
»In einer Seitenstraße in der Nähe des Taxistandes, wo er nicht weiter auffällt. Das Nummernschild trägt ein Kennzeichen hier aus der Umgebung. Luigi sitzt am Steuer, du kannst ihn nicht verfehlen.« Antonio Ferraris hatte wie immer an alles gedacht. Lorenzos Anonymität blieb gesichert, bis er daheim in San Marcino die ihm vom Schicksal zugedachte Aufgabe des Prinzen und Thronfolgers wieder übernehmen würde.
»Sofort. Doch vorher habe ich noch was zu erledigen.« Nach allem, was sie miteinander erlebt hatten, war er Karen wenigstens ein Wort des Abschieds schuldig.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich das für dich erledige«, hielt Antonio ungewöhnlich bestimmt dagegen.
Ihre Blicke kreuzten sich im Spiegel. Lorenzo zögerte noch, doch im Grunde wusste er, dass Antonio Recht hatte. Karen würde Fragen stellen, wenn er sich förmlich von ihr verabschiedete. Fragen, die er ihr ehrlicherweise nicht beantworten konnte. Nicht beantworten durfte. Auch wenn er sie anders einschätzte – wer garantierte ihm dafür, dass sie ihre gemeinsamen Erlebnisse nicht an den erstbesten Paparazzo verkaufte? Aus verletzter Eitelkeit. Die Yellowpresslebte von solchen Geschichten.
»Sie hält mich für ein Mitglied der Mafia«, erklärte er lächelnd. Antonio entging die leise Wehmut in der Stimme seines Freundes nicht. »Grüße sie von mir. Sag ihr meinetwegen, dass die Familie mich nach Hause gerufen hat und mir keine Wahl blieb, als ihr sofort zu gehorchen. Sie wird sich ihren eigenen Reim darauf machen.«
Und gelogen war es auch nicht.
»Und sonst?«, fragte Antonio. »Ihr wart euch schließlich nicht gleichgültig, oder?«
»Gegen dich ist James Bond nur ein müder Abklatsch!«, griente Lorenzo schwach. Doch entschlossen verneinte er. »Karen hat Besseres verdient. Sie ist in ihrem Leben schon viel zu häufig belogen worden.«
Betroffen sah Antonio ihn an. »Du hast dich in sie verliebt?! Tut mir leid, das habe ich nicht gewollt.«
Lorenzo trocknete sich an einem Papiertaschentuch die Hände. »Was hast du damit zu tun? Abgesehen vom Bespitzeln, meine ich?» Er nahm seinen Rucksack und warf ihn Antonio zu, damit dieser ihn trug.
Er war nicht wenig erstaunt, als Antonio ihn, mit bedeutungsschwerem Blick auf die Alte, die neugierig die Ohren spitzte, sofort wieder zurückwarf.
»Ich hielt diese Karen für das richtige Mittel, um dich beizeiten wieder klar im Kopf zu machen. Manchmal hilft es, den Hormonstau abzubauen.«
Schockiert blieb Lorenzo stehen. »Du hast sie dafür bezahlt, dass sie mit mir schläft?!«
»Unsinn! Wenn du so über sie denkst, hast du sie nicht verdient!«
»Interessant. Jetzt verteidigst du sie also noch?!«
»Ich kenne keinen Grund, es nicht zu tun.«
Lorenzos Blick ruhte nachdenklich auf seinem Freund, bevor er nickte. »Sie ist in Ordnung.« Dann verließ er vor Antonio den Waschraum.
Über dessen Gesicht glitt ein wissendes Grinsen.
»›In Ordnung‹ bedeutet so viel wie er liebt sie. Schade. Wirklich sehr schade.«
Plötzlich merkte er, wie die alte Frau energisch am Saum seines Sakkos zupfte. »Junger Mann, war das da gerade der Prinz Emanuel von San Marcino, mit dem Sie da gesprochen haben?«
Erschrocken erwiderte Antonio ihren Blick. »Aber nein, gnädige Frau. Das war das Double von Prinz William von Großbritannien. Doch sagen Sie es nicht weiter. Er ist inkognito hier.«
»Veräppeln kann ich mich alleine«, murrte die Alte und kippte Antonio aus Versehen den vollen Aschenbecher über die schwarz glänzenden Schuhe.
Lorenzo bat Luigi, einen der dienstältesten Chauffeure am Hofe, mit dem Wagen den Weg am Haupteingang des Bahnhofes vorbei zu nehmen. Die Ampel sprang auf Rot um, sodass ihm ein paar Minuten blieben, um in der Menge der vorbeiströmenden Reisenden wenigstens mit den Augen nach Karen zu suchen. Er entdeckte sie gleich neben dem Zeitungsstand. Sie musste irgendwo ein Haarband aufgetrieben haben, mit dem sie sich die widerspenstigen Locken aus der Stirn gebunden hatte. Mit den leuchtend roten Haaren und der hellen Haut stach sie wie ein seltenes, wunderschönes Fabelwesen aus der Masse hervor.
Er erschrak, als sie unvermittelt in seine Richtung
Weitere Kostenlose Bücher