Wer braucht denn schon Liebe
um bloß nichts zu versäumen.
»Sie sind Karen Rohnert, geboren am 4. April 1976 in Düsseldorf?«, fragte ein italienischer Grenzschutzbeamte.
»Wohnhaft in Meerbusch-Lank«, ergänzte Karen. Angesichts des Überangebots an Staatsgewalt nahm sie sich vor, alle Fragen, die ihr gestellt wurden, hilfsbereit und mit großer Offenheit zu beantworten.
»Frau Rohnert, ich verhafte Sie wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und wegen des unerlaubten Besitzes gefälschter Ausweisdokumente. Ich darf Sie bitten, mir zu folgen!«
Das hilfsbereite Lächeln gefror Karen auf den Lippen.
San Marcino
In den Bergen oberhalb von San Marcino gab es eine Stelle, von der aus man das winzige Fürstentum komplett überblicken konnte. Jedes Mal, wenn Lorenzo von einer Auslandsfahrt heimkehrte, bat er den Chauffeur, dort anzuhalten, um den Blick über die strahlend weißen Hochbauten und das angrenzende, tiefblaue Meer genießen zu können. Luigi kannte diese Marotte aus dem Effeff. Doch als er auch dieses Mal den Schlenker in die Parkbucht ziehen wollte, hielt Lorenzo ihn zurück.
»Ich möchte erst wissen, wie es meinem Vater geht.«
Luigi warf ihm einen beruhigenden Blick im Rückspiegel zu. »Im Radio haben sie bis jetzt noch nichts durchgegeben.«
Lorenzo lachte trocken auf. »Stimmt, wenigstens ein Vorteil unseres Berufsstandes, vielleicht sogar der einzige: Geburten, Hochzeiten und Todesfälle bringen sie sogar in den Nachrichten.«
Der Wagen passierte die Landesgrenze. Nur ein unauffälliges Schild mit dem Wappen der Fürsten von und zu Sayn-Cerrano, der Herrscher des Landes, wies darauf hin. Politisch und verwaltungsmäßig war das kleine Fürstentum an die Republik Italien angegliedert. Das war der Preis, den der Zwergstaat für seine steuerliche Unabhängigkeit bezahlen musste. Ähnlich wie sein großer Bruder Monaco beherbergte es die Crème de la Crème des europäischen Geldadels. Dass auch die Prominenz von Funk, Film und Fernsehen sowie der gesamte Hochadel Europas sich immer wieder gerne in San Marcino zeigten, lag an dem Glanz, den das Fürstentum zu Lebzeiten von Lorenzos Mutter ausgestrahlt hatte. Seit ihrem Tod war es ruhiger geworden, dafür wucherten die Spekulationen um Lorenzo. Von seiner Wahl, wer die Frau an seiner Seite und damit auch die künftige Herrscherin des Landes werden würde, hing die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Stellung des kleinen Fürstentums ab.
»Wohin tendiert das Heiratsbarometer, Luigi?«, erkundigte Lorenzo sich neugierig, als er daran dachte.
»38 Prozent sagen, es wird die Schweden-Prinzessin, die übrigen Prozent verteilen sich auf die Bayern und Monaco.«
Lorenzo schüttelte sich. »Also wirklich nicht.« Danach versank er wieder in brütendes Schweigen.
So sehr er sich auch bemühte, er wurde den Gedanken an Karen einfach nicht los. Ihr Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es waren nicht nur die Äußerlichkeiten, auf die er sich konzentrierte, obwohl er auf die nur ungern verzichten würde.
In seinen Ohren klang vielmehr ihr fröhliches Lachen, er hörte die wohligen Laute, die sie beim Liebesspiel mit ihm produzierte. Er glaubte sie riechen, fühlen und schmecken zu können. Die Erinnerung war dermaßen real, dass es ihm zu seiner eigenen Überraschung tief in die Seele schnitt, sie in diesem Augenblick nicht neben sich sitzen zu haben.
Wie schön müsste es sein, ihre Hand zu halten, wenn sie gemeinsam auf Reisen gingen, um das kleine Fürstentum zu repräsentieren.
Wie gern würde er auf ihren Rat hören, wenn es um verzwickte Staatsgeschäfte ging, um die leidige Finanzfrage oder darum, wie sich San Marcino dem Nachbarland Italien gegenüber verhalten sollte, wenn dieses wieder einmal seine begehrlichen Vereinnahmungswünsche äußerte.
Auch wenn er sie noch niemals in Aktion erlebt hatte, so war er sich sicher, dass sie eine ganz hervorragende Unternehmensberaterin war. Ihr Verstand arbeitete messerscharf. Lebhaft konnte er sich vorstellen, wie sie inhaltlich ihre Gesprächspartner über den Tisch zog, während deren Blicke noch fasziniert an ihren Brüsten klebten.
Lächerliche drei Tage mit ihr hatten ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Und was er vor ein paar Tagen noch weit von der Hand gewiesen hätte, malte er sich jetzt in den schönsten Farben aus: Karen war die Frau, die er sich an seiner Seite wünschte, wenn er das kleine Fürstentum regierte.
Doch sie war eine Bürgerliche.
Und sein Vater wünschte, nein, er forderte von ihm,
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