Wer braucht schon Liebe
fährt. Ich stelle mir vor, wie es sich von jetzt an weiterentwickelt. Mark und Rachel steigen an derselben Haltestelle aus. Und David ist mit der Nymphomanin allein. Ich vertraue ihm hundertprozentig. Trotzdem wünschte ich, sie wäre nicht mitgekommen.
Den Rest des Abends rede ich mir zu, die ganze Sache zu vergessen. Sie war total lächerlich, hat sich selber mehr blamiert als irgendjemanden sonst. Da stehe ich drüber. Ich schaue mir alle drei Bourne -Filme nacheinander an. Als ich ins Bett gehe, fühle ich mich so erschlagen, dass ich sofort einschlafe.
19 Toyota Corolla
Es ist Sonntag, und ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen. Als er draußen vorfährt, renne ich zur Tür.
» Wer ist das?«, ruft der Rockstar aus seinem Arbeitszimmer.
» Ein Schulfreund. Tschüss!«
» Äh …« Kurzes Schweigen. Dann ein resigniertes » Tschüss«.
Draußen kommt David die Stufen herauf. Mit hängendem Kopf und eingezogenen Schultern.
Ich pruste los. » Was ist denn mit dir los?«
Er sieht auf. Ohne zu lächeln.
Und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass tatsächlich etwas nicht in Ordnung sein könnte. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich gelacht habe. » Ist alles in Ordnung mit dir?«
» Ja. Alles klar.«
Er klingt so, als wenn das Gegenteil der Fall wäre.
» Ist was passiert?«
» Ich fühle mich nur nicht besonders.« Er sieht blass aus.
» Was hast du im Restaurant gegessen?«
Er sieht mich merkwürdig an. Dann sagt er: » Mein Magen ist in Ordnung.«
» Hast du überhaupt geschlafen?« Unter seinen Augen haben sich dunkle Ringe eingegraben.
» Eigentlich nicht.«
» Vielleicht solltest du heimgehen. Dich hinlegen.«
» Mir geht es gut.«
Er küsst mich nicht. Dreht sich nur um und geht zum Auto. Ich folge ihm. Er bückt sich und steigt ein. Ich nehme Platz. Schiele zu ihm hinüber. » Es könnte eine Grippe sein.«
Er lässt den Motor an. » Es ist keine Grippe. Komm, wir fahren.«
Ich zucke mit den Schultern. » Okay.«
Aber es ist nicht okay. Sonst würde seine Hand auf meinem Bein liegen. Er würde mir von gestern Abend erzählen und mich beim Fahren zum Lachen bringen. Er würde den Fans vor dem Tor zuwinken. Stattdessen fährt er einfach nur. Die Stille zwischen uns wächst, breitet sich im Auto aus. Er dreht das Radio an. Es ist eine Wirtschaftssendung. Am liebsten würde ich sagen: » Das ist doch nicht dein Ernst.« Aber dann stelle ich fest, dass er gar nicht zuhört. Ich starre ihn an. Er sieht geradeaus. Und ich weiß, dass etwas nicht stimmt.
» Was ist los?«, frage ich.
» Nichts.«
Ich hole tief Luft. Okay, gut. Wenn er es mir nicht sagen will, höre ich auf zu fragen. » Wo willst du hingehen?«
» Keine Ahnung. Vielleicht ins Kino?«
» Okay«, sage ich, obwohl ich nach Jason Bourne eigentlich eine Überdosis Film intus habe.
Erst als wir dort sind, fällt mir auf, wie perfekt seine Wahl ist. Er kann neben mir sitzen, geradeaus schauen und muss den Mund nicht aufmachen. Weil andere Leute das Reden übernehmen.
Danach gehen wir nicht noch Pizza essen. Wir gehen nirgendwohin. David fährt mich direkt nach Hause. Wir reden nicht. Wir küssen uns zum Abschied nicht. Und noch bevor ich an der Haustür bin, stehen mir die Tränen in den Augen.
Warum sagt er mir nicht, was los ist? Warum sieht er mir nicht in die Augen? Habe ich etwas falsch gemacht? Etwas Falsches gesagt? Vielleicht war ich gestern zu barsch zu ihm wegen Sarah. Aber als wir uns verabschiedet haben, war er okay. Kann sie etwas zu ihm gesagt haben, nachdem ich weg war? Oder noch schlimmer, etwas getan haben? Ich schlage mir diesen Gedanken aus dem Kopf. Egal, wie Sarah sich verhalten hat, ich kenne David. Und ich vertraue ihm. Voll und ganz. Vielleicht ist es etwas ganz anderes, vielleicht hat es überhaupt nichts zu tun mit Sarah? Aber was? Und warum will er es mir nicht sagen? Diese Gedanken kreisen die ganze Nacht durch meinen Kopf.
***
Am Morgen bin ich noch im Halbschlaf, als ich die DART erwische. Allerdings bin ich sofort hellwach, als ich Sarah einsteigen sehe. Sie entdeckt mich und kommt lächelnd zu mir herüber, als wäre nichts gewesen. Leider steigt die Frau neben mir an der nächsten Haltestelle aus, und Sarah lässt sich wie eine Prinzessin neben mir nieder, auf demselben kotzgrünen Sitzpolster, auf dem sie gesessen hat, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Ich sage zu mir, dass ich da drüberstehen muss, aber sie sieht so unantastbar aus, als hätte sie das Recht, jedem
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