Wer braucht schon Zauberfarben?
Mein Bruder wendet mir den Rücken zu und öffnet die Zellentüre. Ich soll wohl nicht sehen, welche Rune er benutzt.
Da drin erwartet mich das absolute Grauen. Gegenüber einer Steinwand mit Eisenfesseln haben sie das Waffenarsenal eines Kleinkrieges aufgebaut. Ich weiß nicht, in wie viele Mündungen ich starre, während mir mein Bruder die Hand- und Fußschellen anlegt.
„Raven?“ Nur widerwillig reiße ich den Blick von den Waffen los. Dabei schafft es eine Träne meinem Auge zu entkommen. Mein Bruder küsst sie sanft von meiner Wange.
„Wieso tust du das, Raven?“, will er wissen. „Beliar liebt dich nicht einmal. Er würde sich nie mit einer schwarzen Hexe einlassen. Das muss dir doch klar sein“, stellt er flüsternd fest.
„Es geht nicht nur um ihn Bruder“, hauche ich.
Artis streichelt mir über die Wange. Sein Blick ist besorgt. „Ich will meine Schwester nicht an eine Steinmauer ketten. In mir sträubt sich alles, dich alleine hier unten lassen. Es bricht mir das Herz, das zu tun“, gesteht er.
Ich lächle. „Wieso? Ist doch ganz gemütlich hier unten.“
Mein Bruder erwidert das Lächeln. Dabei nimmt er beide meiner Wangen in seine Hände. „Ich will dich nicht noch einmal verlieren Schwester. Bitte tu, was Vater verlangt. Gegen ihn kannst du nicht gewinnen. Wenn du zauberst, gehen die Waffen los. Bitte mach keine Dummheiten“, fleht er förmlich.
Ich nicke und verlange: „Hältst du mich kurz fest?“ Das lässt er sich nicht zweimal sagen. Schnurstracks befinde ich mich in seinen Armen. Ich spüre seine Liebe zu mir und versuche, diese Scheiße für einen Moment zu vergessen.
Mit übermenschlicher Kraft, die sein Gesicht schmerzverzerrt wirken lässt, reißt er sich viel zu schnell von mir los. Im nächsten Augenblick ist er verschwunden.
Der Anblick der Schusswaffen, die laut Artis mit einem Zauber versetzt wurden, jagt mir Angst ein. Selbst wenn das nur ein Bluff war, um mich zu verängstigen und die Waffen gar nicht geladen sind, klappt es schon mal ganz gut.
Ich zwinge mich dazu, auf keinen Fall in Gedanken zu singen, was ganz schön schwer ist, besonders weil ich meistens einen Ohrwurm habe.
Die Furcht davor, im Traum unabsichtlich zu singen, kriecht mir den Rücken empor wie tausend Spinnenbeine.
Ich bin von meinem Vater enttäuscht, der von Macht besessen zu sein scheint. Der Versuch, einen klaren Kopf zu behalten und meine Emotionen in den Griff zu kriegen, scheitert.
Mein Schluchzen hallt durch die Zelle. Hör auf. Hör auf. Hör auf, sage ich mir immer wieder. Du bist stark. Die Angst vor den Waffen wird mich nicht beherrschen. Meine Tränen strafen mich der Lüge. Immer wieder fallen mir die Augen zu. Ich darf aber nicht einschlafen.
Die Zelle hat kein vergittertes Fenster. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Da sind nur dieser Kampf gegen die Müdigkeit, den ich mit mir selbst ausfechte und diese Kälte in meinem Körper.
„Frierst du? Du zitterst“, lässt mich hochschrecken. Hab ich etwa geschlafen?
Nadar steht vor mir in der Zelle und blickt auf mich herab. Na toll. Was will er denn hier? Ohne auf eine Antwort zu warten, legt er mir seine Jacke über die Schultern. Also, das würd ich nie zugeben, aber ich bin froh darüber, hier drin ist es klirrend kalt. Haben Folterkammern wohl so an sich.
„Wieso bist du hier?“, will ich von ihm wissen.
„Um mit dir zu sprechen“, erklärt er.
„Worüber denn?“, stoße ich genervt aus.
„Über unsere gemeinsame Zukunft“, sagt er doch tatsächlich.
„Du meinst, über unsere arrangierte Ehe“, stelle ich fest.
„Auch wenn du dich dagegen wehrst, wird es geschehen Raven“, informiert er mich.
„Hast du das in einer deiner Visionen gesehen?“, will ich wissen.
„Nein, ich kann deine Zukunft nicht vorhersehen“, stellt er fest.
„Wieso bist du dann vom Stuhl gekippt, als du mein Blut getrunken hast? Ich dachte, du hättest eine Vision“, wende ich ein.
„Ich habe keine Vision erhalten. Irgendetwas in deinem Blut blockiert meine Kräfte“, erklärt er. Sein Blick spießt mich förmlich auf.
„Wieso starrst du mich an?“, stelle ich verärgert fest.
„Du bist schön“, sagt er total selbstverständlich.
„Könntest du damit aufhören? Es ist mir unangenehm“, knalle ich ihm vor den Latz.
Nadar hockt sich vor mich hin. „Du wirst dich schon an mich gewöhnen. An meine Blicke, meine Berührungen.“ Seine Hand streicht mir über die Wange. Ich drehe den Kopf weg, doch
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