Wer bricht das Schweigen (German Edition)
Herr Doktor“, berichtete sie. „Sie war ganz aufgeregt. Ihre kleine Tochter klagt über starke Bauchschmerzen. Frau Sander hat Angst, dass sie eine Blinddarmentzündung haben könnte.“
Er stieg sofort wieder in seinen Wagen und ließ den Motor an. Für heute hätte er eigentlich schon genug gehabt. Oft musste er etliche Kilometer zurücklegen von einem Patienten zum anderen. Das waren die Nachteile, die ein Landarzt in Kauf nehmen musste, wahrscheinlich gab es deshalb so wenige. Michael gähnte verstohlen. Zum Glück war nicht jeder Tag so stressig.
Ausgerechnet für heute hatte er auch noch die kleine Nachfeier anlässlich seines Geburtstages angesetzt. Er freute sich unbändig darauf, mit Janina einen harmonischen Abend zu verleben. Den ganzen Tag über dachte er nun schon darüber nach, was ihn an dieser Frau so faszinierte. Er kam nicht dahinter, was ihn am meisten an ihr begeisterte. Ihr feines Lächeln, die langen naturblonden Haare, ihre bezaubernde Art mit Kindern umzugehen?
Michael sah Frau Sander schon an der Haustür stehen, als er zu dem Bauernhof abbog, in dem seine kleine Patientin mit ihrer Mutter wohnte. Sie kam ihm sofort entgegen, als er ausstieg.
„ Ich bin so froh, dass Sie endlich da sind, Herr Doktor“, begann sie sichtlich erregt. „Diesmal geht es Regina noch bedeutend schlechter. Sogar Fieber hat sie. Vorhin hat sie sich auch noch erbrochen, dabei weiß ich ganz sicher, dass sie dasselbe wie ich gegessen hat. Kann es nicht doch sein, dass ihr Blinddarm entzündet ist?“
Der Arzt ließ sich nicht aufhalten. Den Weg zur Wohnung kannte er längst. „Du musst mir jetzt genau sagen, wo du überall Schmerzen hast, Regina“, verlangte er, als er dann am Bett des Kindes stand. Eine Hand strich prüfend über ihre fieberheiße Stirn, während er mit der anderen den Puls an ihrem Handgelenk fühlte.
„ Mein ganzer Bauch tut mir weh“, klagte Regina und brach sofort in Tränen aus. „Ich kann gar nicht sagen, wo es mir am meisten weh tut. Und übel ist mir auch.“
„ Wie ich Ihnen ja schon gesagt habe, Herr Doktor“, mischte sich ihre Mutter erregt ein. „Dabei kann Regina gar nichts mehr im Magen haben. Ich bin sicher, es ist der Blinddarm. Wenn ich daran denke, dass sie operiert werden muss …“
„ Würden Sie bitte im Wohnzimmer auf mich warten, Frau Sander“, bat er. „Ich komme gleich nach, dann erkläre ich Ihnen alles.“
Sie zögerte sichtlich. Es schien ihr nicht einzuleuchten, warum sie als Mutter bei der Untersuchung nicht dabei sein durfte. Verstand der Doktor denn nicht, dass sie sich Sorgen um ihr Kind machte? Wenn sie Regina auch noch verlor, stand sie ganz alleine auf der Welt da. Nur widerwillig kam sie der Aufforderung des Arztes nach.
Michael untersuchte das Kind sorgfältig. Dabei redete er beruhigend auf die kleine Patientin ein. „Hab keine Angst, Regina“, redete er ihr zu. „Du musst nicht ins Krankenhaus. Ich werde deiner Mutti sagen, dass sie dir gleich etwas zu trinken bringt. Am besten überlegst du dir schon einmal, was du haben möchtest.“
„ Ich will aber keinen Kamillentee. Lieber trinke ich gar nichts“, protestiert das Kind.
„ Meinetwegen kannst du auch ausnahmsweise eine Cola haben“, sagte er schmunzelnd. „Aber immer nur kleine Schlucke trinken, dann kann gar nichts passieren. Wenn du einen Keks dazu haben möchtest, ist auch nichts dagegen einzuwenden. Du hast keinen Grund, dir irgendwelche Sorgen zu machen, mein Schatz.“
„ Können wir jetzt trotzdem ans Meer fahren?“, fragte das kleine Mädchen bang. „Die Mutti hat gesagt, dass das gar nicht in Frage kommt, solange ich immer noch diese Bauchschmerzen bekomme.“
„ Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, mein Kleines.“ Er strich ihr die feuchten Haare aus dem Gesicht. „Deine Mutti ist eben ein bisschen überängstlich. Ich rede gleich mit ihr. Dieser Urlaub wird euch beiden gut tun. Wenn du Glück hast, verschwinden diese Bauchschmerzen dort für alle Zeiten.“
„ Ich glaube, mir geht es schon viel besser, weil Sie mit mir geredet haben“, meinte Regina. „Mutti geht es auch immer so, wenn Sie wieder einmal bei ihr waren. Das liegt bestimmt daran, weil die Angst dann auf einmal weg ist.“
„ Du brauchst dich vor nichts zu fürchten.“ Behutsam strich er über ihre Wange, die vom Fieber noch immer leicht gerötet war. „Je weniger du diese Ängste in dir hochkommen lässt, desto größer ist die
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