Wer bricht das Schweigen (German Edition)
als er endlich wieder in sein Auto steigen konnte, um nach Diebach zurückzufahren. Er wollte noch duschen, ehe er sich umzog. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr dafür.
* * *
Die Fenster hätten dringend eine Wäsche nötig, stellte Lisa Krämer fest, als sie sich nach einer Arbeit umschaute. Nachdem ihr Doktor am Abend auswärts essen wollte, hatte sie Zeit dafür. Er würde zwar mit ihr schimpfen, wenn sie sich die schwere Arbeit anfing, aber sie war es gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen.
Die alte Frau hatte sich gerade ihr Putzwasser gerichtet, als es an der Haustür Sturm läutete. Ihr Doktor war zurück. Wahrscheinlich hatte er seinen Schlüssel wieder einmal verlegt, das kam schon gelegentlich vor. Seufzend stellte sie ihren Eimer auf den Boden und schlurfte zur Tür, um ihm aufzumachen.
„ Was wollen denn Sie schon wieder da?“, kam es wenig freundlich über ihre Lippen, als sie die rothaarige junge Frau sah, die erst vor kurzem da war. „Wir haben heute keine Sprechstunde, das sehen Sie doch, wenn Sie lesen können“, sagte sie grob und wollte die Tür wieder zumachen, aber die Besucherin schien damit gerechnet zu haben. Blitzschnell hatte sie ihren Fuß noch in die Tür gestellt.
„ Ich muss mit Doktor Baumann reden“, sagte sie flehend. „Bitte lassen Sie mich zu ihm. Es geht um Leben und Tod.“
„ Der Doktor ist nicht da, tut mir leid. Zu wem soll er denn kommen?“, fragte sie brummig, weil ihr nun doch Gewissensbisse kamen. „Brauchen Sie selbst seine Hilfe?“, entfuhr es ihr, weil ihr auffiel, wie erbarmungswürdig die junge Frau aussah. Sie hielt sich am Geländer fest, als ob sie Angst hätte umzufallen. Ob sie betrunken war? Ihre Augen glänzten wie im Fieber.
„ Ich werde eben warten, bis Doktor Baumann wieder da ist. Kann ich mich inzwischen ins Wartezimmer setzen?“
„ Es kann sehr lange dauern, bis er zurückkommt, und danach muss er auch gleich wieder weg. Warum versuchen Sie es nicht in der Stadt, wenn Sie dringend einen Arzt brauchen?“
„ Weil nur Doktor Baumann mir noch helfen kann. Bitte haben Sie Verständnis. Ich verspreche Ihnen, dass ich ihn nicht lange aufhalte.“
Sie hatte eine Abneigung gegen die junge Frau, aber das durfte sie auf keinen Fall dazu verleiten, sie einfach wegzuschicken, sagte sich die Haushälterin schweren Herzens.
„ Meinetwegen warten Sie solange“, sagte sie, weil sie nun doch Mitleid bekam. „Den Weg zum Wartezimmer kennen Sie ja inzwischen.“ Sie ließ die Frau an sich vorbeigehen, bevor sie die Haustür mit Nachdruck schloss. Damit wollte sie der Besucherin klarmachen, wie ungehalten sie war.
Es dauerte nicht lange, bis Doktor Baumann ins Haus stürmte. „Schön, dass Sie noch da sind, Frau Krämer“, stellte er gut gelaunt fest. „Ich brauche ein weißes Hemd für heute Abend. Können Sie einmal nachsehen, ob ich so etwas noch habe? Damit würden Sie mir einen großen Gefallen tun, ich bin ziemlich in Eile.“
„ Im Wartezimmer ist jemand“, raunte sie ihm zu. „Ich konnte sie beim besten Willen nicht wegschicken.“
Michael wusste sofort, um wen es sich handelte. Was wollte die Frau denn schon wieder von ihm? Nach seinen Erfahrungen glaubte er schon nicht mehr daran, dass sie ihm sein Geld je wieder zurückbringen könnte. Ihm kam sofort der Verdacht, dass sie Nachschub von ihm wollte. Aber diesmal würde Frau Sommer auf Granit beißen. Er hatte kein Geld mehr, das er ihr geben konnte. Seine Ersparnisse reichten gerade aus, um seinen monatlichen Verpflichtungen gegenüber seinem Vorgänger nachzukommen, dem er die Praxis abgekauft hatte.
Wahrscheinlich will sie mir nur erzählen, dass sie ihr Kind endlich wieder zurückbekommen hat, redete er sich ein, als er zu ihr ging.
Ihm fiel auf, wie sie zusammenzuckte, als er das Wartezimmer betrat. Es gelang ihm nur schwer, sein Erschrecken zu verbergen, als er ihr Gesicht sah.
„Was ist passiert, Frau Sommer“, fragte er mitleidig. „Haben Sie etwas von Ihrer kleinen Tochter erfahren?“
Sie stand auf, als er vor ihr stand. Dabei hielt sie sich mit einer Hand an der Sessellehne fest, als fürchtete sie, den Halt zu verlieren. Ihre Augen glänzten wie im Fieber.
Michael konnte sich nicht erklären, was mit ihr los war. Genau wie seine Haushälterin kam auch ihm der Verdacht, dass sie etwas getrunken haben könnte, um ihren Kummer zu betäuben. Gleich darauf verwarf er den Gedanken wieder. „Sie sind krank, Frau Sommer“,
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