Wer den Himmel berührt
hingehörte. In ein Haus, das jetzt ihres war. Ob es wohl gut wäre, fragte sich Cassie, wenn Fiona ihr aus den Augen und aus dem Sinn war? O Gott, und dabei hatte sie sich doch so sehr auf die Rückkehr ihrer Freundin gefreut … so sehr darauf gewartet, ihre Freundschaft mit Fiona wiederaufnehmen und ihr alles berichten zu können, was sie auf dem Herzen hatte.
Sie schaute zum Fenster hinaus auf die Landschaft unter sich, die zunehmend grüner wurde, auf die tropischen Gewächse … die Bananenbäume, die Palmen, die Zuckerrohrfelder, und dabei stellte sie sich vor, wie Blakes Hände Fiona berührten, wie Blake sich vorbeugte, um Fiona zu küssen, wie Blake zu Fiona sagte: »Ich liebe dich«, und sie ballte die Hände auf dem Schoß zu Fäusten. Wie Blake nie wieder an sie dachte, an Cassie. Wie Blake die Leidenschaft vergaß, die sie in Kakadu erlebt hatten. Wie Blake sich vielleicht nicht einmal mehr daran erinnerte, wie sie aussah.
Der einzige Mensch, der geahnt hatte, was sich in Cassies Innerem möglicherweise abspielte, war seltsamerweise Chris. Kurz nach Fionas Rückkehr war er eines Morgens aufgetaucht und hatte an die Haustür geklopft. Cassie hatte ihm im Morgenmantel die Tür geöffnet. Obwohl sie ganz sicher war, daß er es nicht getan hatte, hätte sie schwören können, daß er sich aus der Taille heraus vor ihr verbeugt hatte. Seine Förmlichkeit muß tief in ihm verwurzelt sein, dachte sie. Er wacht morgens schon so auf.
»Ich bin so früh gekommen, weil ich dich zum Frühstück einladen wollte«, sagte er.
»Zum Frühstück?« Sie strich sich das Haar aus den Augen. Er sah sich um, als wollte er nachsehen, ob auch niemand in Hörweite war. »Ja«, sagte er dann. »Mir ist aufgegangen, daß du vielleicht jemanden gebrauchen könntest, mit dem du reden kannst.«
Natürlich hatte er gewußt, daß Fiona bei ihrer Heimkehr mit dem Mann verheiratet gewesen war, den Cassie liebte.
Wenn es auch noch so nett von ihm war, dann war Chris doch gewiß nicht derjenige, dem gegenüber sie ihrer Seele Luft gemacht hätte. Falls sie das jemals tun sollte, dann brauchte sie Mitgefühl, und Chris Adams war kein Mensch, der ihr das hätte geben können. Dennoch wurde Cassie warm ums Herz, und genauso war es ihr schon damals ergangen, als er sie nach Townsville geschickt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, je in Gegenwart von Chris zu weinen und auf Verständnis zu stoßen. Wahrscheinlich hatte er großen Kummer nie auch nur erlebt, bis Isabel gestorben war. In all den Jahren war er mit derselben Frau verheiratet gewesen. Er hatte nie eine Zurückweisung erlebt. Er konnte nicht wissen, was unerwiderte Liebe dem Herzen eines Menschen antat. Er konnte nicht wissen, was Verrat bedeutete. Er würde emotionales Leid nicht verstehen können, Abgründe, die so tief wie die Seele waren.
Als sie ihn um sieben Uhr morgens auf der anderen Seite des Fliegengitters hatte stehen sehen, war sie sich mit einer Hand durch das zerzauste Haar gefahren. Mein Gott, ich muß furchtbar aussehen, war ihr klargeworden.
»Mit jemandem reden?« wiederholte sie. »Worüber?« Nein, sie wollte keine Antwort von ihm haben. »Ich weiß nicht, wie du das meinst.«
Er starrte sie eine Minute lang an und erweckte den Eindruck, als wüßte er nicht so recht, was er tun sollte. »Wenn das so ist, dann liege ich wohl daneben. Ich hatte gleich gefürchtet, es könnte so sein.« Er wandte sich ab und stieg die Stufen hinunter, und Cassie, die sich ihrer Schroffheit schämte, sagte: »Wenn du einen Moment wartest, frühstücke ich liebend gern mit dir. Das ist die erfreulichste Einladung, die ich seit langer Zeit bekommen habe.«
»Das möchte ich bezweifeln«, murmelte Chris.
»Komm rein und setz dich, solange ich mir etwas überziehe. Es wird keine zehn Minuten dauern.«
Er hatte Blake zwar nicht erwähnt, und sie hatte das Leid nicht eingestanden, das sie marterte, doch es war ihnen gelungen, ein angenehmes Frühstück daraus zu machen. Sie hatten eine Auseinandersetzung gehabt, und das lenkte sie von Blake ab. Aber andererseits fanden sie und Chris immer etwas, worüber sie verschiedener Meinung sein konnten. Diesmal war es um Aborigines gegangen. Seine Behauptung, daß ihre Gehirnmasse kleiner sei als die der Weißen und daß sie gerade erst mit Mühe und Not eine primitive Daseinsform ablegten, versetzte sie in Wut. Er sah in ihnen keine wirklichen Menschen. »Sieh dir doch nur ihren vorspringenden Kiefer an. Sie sehen eher wie Affen
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