Wer den Tod ruft: Thriller (German Edition)
auf dem Küchentisch.
Sie stand vom Teppich auf und schüttelte ihre steifen Beine aus. Heute konnte sie ihre Gedanken nicht zusammenhalten. Seit Troy sie am Morgen mit einem besorgten Blick und einem flüchtigen Kuss vor dem Büro abgesetzt hatte, war es um ihre Konzentration geschehen.
Und am Mittwoch war bereits das Vorstellungsgespräch.
Eine Chance. Für die sie nichts getan hatte. Aber, was sollte es? Es war ihre Chance. Sie nicht zu ergreifen wäre dumm und würde ihren Vater in seinen Vorurteilen bestätigen.
Behavioral Analysis Unit. BAU . Die Analyseeinheit des FBI . Nur Agenten mit scharfem Verstand und guter Beobachtungsgabe wurden in sie aufgenommen. Vielleicht gehörte sie bald zu dieser Elitetruppe. Vielleicht durfte sie bald an der Lösung der schwierigsten Kriminalfälle der USA mitarbeiten.
Vor ihr lag das Foto von Valerie Monroes zerstückelter Leiche. Sie hatte die Leiche am Fundort gesehen. Diesen Anblick würde sie nie mehr vergessen. Sie drehte das Foto um.
Dann ging sie in die Küche und sah auf die Uhr. Fast elf. Der Pizzabote hatte sich verspätet. Sie nahm sich ein Glas Wasser. Im Fenster über der Spüle betrachtete sie ihr Spiegelbild.
Ihr Haar war zerzaust, die Wangen von der Sonne verbrannt. Immerhin, die muskulösen Arme kamen in ihrem Sport- BH gut zur Geltung. Aber was war das? Nein. Doch. Es war tatsächlich ein Knutschfleck. Troy hatte ihn ihr beim Nacktbaden verpasst. Er hatte an ihrer Schulter und dann an ihrem Nacken herumgeknabbert – während ihres ekstatischen Wellenritts.
Ihr Vater hatte recht. Sie hatte sich in den letzten Wochen verändert. Sie war nicht mehr die siegesgewisse Agentin, die vor vielen Monaten in ihrem Jungmädchenkostüm zum ersten Mal das Büro in Brownsville betreten hatte.
Ihr Handy meldete sich. Sie fischte ihr Blackberry aus der Handtasche. Es war Weaver.
»Hast du die Liste gesehen?«, fragte er. Sie spürte die Aufregung in seiner Stimme.
»Nein, wer hat sie?«
»Rics Bruder hat sie ans Büro gefaxt. Da ist jeder drauf, der sich in den letzten fünf Jahren über das Büro in San Antonio beim FBI beworben hat.«
»Ich hatte ihn um die letzten zehn Jahre gebeten. Gibt es denn …«
» Zwei Bewerber sind sehr interessant«, unterbrach Weaver sie.
»Der erste ist Joel Etheridge, er stammt aus Bay Port. Mit einunddreißig hat er sich das letzte Mal beworben. Das war vor fünf Jahren. Damals wohnte er in San Marcos.«
Joel Etheridge. Sie hatte den Namen schon einmal gehört. Aber wo?
»Bist du bereit für den zweiten Namen?«
Ihr Magen zog sich zusammen. »Wer ist es?«
»Greg Maynard.«
»Officer Maynard? Vom Polizeirevier in Lito?«
»Genau. Der Kerl ist offensichtlich ganz scharf aufs FBI . Zweimal hat er es versucht. Und zweimal ist er abgelehnt worden.«
Bei Elaina klingelte es. Während sie zur Tür ging, kam ihr ein Gedanke. Wäre das nicht ein Motiv? Denn manche Psychopathen wurden im Fall einer Ablehnung extrem gewalttätig.
»Wann hat er sich zum ersten Mal beworben?«
»Im Mai vor zwei Jahren. Im vorigen Herbst dann wieder.«
»Und Joel Etheridge?«
»Im Januar vor fünf Jahren.«
»Kurz bevor die Mädchen beim Wandern verschwunden sind.«
»Das ist mir auch aufgefallen.«
»Warte einen Augenblick.« Sie sah durch den Türspion. Es war der Pizzabote. Ein Jüngelchen, dem wohl gerade der erste Haarflaum wuchs.
Am Pizzakarton konnte man sich die Finger verbrennen. Sie stellte ihn auf dem Couchtisch ab.
»Ich brauche Ihre Kreditkarte«, sagte der Kleine, »zum Nummernvergleich.«
Die Karte war in ihrer Brieftasche. »Woher kenne ich den Namen Joel Etheridge?«, fragte sie Weaver.
»Die Polizei von Lito hat ihn im März befragt. Er arbeitet als Barkeeper im Coconuts. Er hatte Gina Calvert am Abend ihres Verschwindens bedient.«
»Ist er schon mal straffällig geworden?«, frage Elaina.
»Nein. Maynard auch nicht.«
»Warum wurde Etheridges Bewerbung abgelehnt?« Sie zeigte dem Pizzajungen ihre Kreditkarte, gab ihm ein Trinkgeld und unterschrieb die Quittung.
»Vielleicht weil er keinen Collegeabschluss hat. Er war auch nicht beim Militär und spricht keine Fremdsprache. Such dir einen Grund aus.«
Elaina sah dem Pizzajungen nach. »Dann dürfte ihn seine Ablehnung nicht überrascht haben.«
»Ich habe auf dem Polizeirevier in Lito Island angerufen. Maynard hat heute Abend Dienst. Er soll sich mit ein paar anderen vom Revier, die auch bei der Task Force sind, im Coconuts umsehen.«
Elaina sah auf ihre Uhr.
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