Wer den Tod ruft: Thriller (German Edition)
er von da ihr Gespräch mithören konnte?
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie ihren Vater.
Der blickte amüsiert. »Ich bin zwar in Rente, aber mein Gehirn arbeitet noch.«
Sie ging zur Hintertür der Garage und schaltete den Ventilator aus. Jetzt war nur noch das Rauschen des Meeres zu hören.
»Du hast dich verändert«, sagte er und blickte dabei auf ihre genähte Wunde.
Er hatte sich überhaupt nicht verändert. Er steckte in einem von diesen Nadelstreifenanzügen, die er sein ganzes Leben getragen hatte. Das einzige Zugeständnis an die Hitze war die fehlende Krawatte, die er aber bestimmt in der Hosentasche bereithielt.
»Ich habe deinen Fall verfolgt«, sagte er.
»Es ist nicht mehr mein Fall. Scarborough hat mich abgezogen.«
»Ich kann nicht behaupten, dass es mir leidtut«, sagte er in bedächtigem Ton. Er vergaß dabei zu erwähnen, ob er etwas mit Scarboroughs Entscheidung zu tun hatte.
Elaina schaute aufs Wasser. Ihr Vater war gegen ihre Berufswahl gewesen. Sie hatte das seinem Beschützerinstinkt zugeschrieben und gehofft, er würde ihre Entscheidung dann doch akzeptieren. Wie jeder andere Vater.
Aber er war nicht wie jeder andere Vater. Er war John McCord – ein Mann, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt hatte und alle, die sich ihm in den Weg gestellt hatten, weggefegt hatte. Beim FBI gab es jede Menge solcher Typen. Schlau, kompetent, selbstbewusst. Sie hatten immer recht, das Wort Nein kam in ihrem Wortschatz nicht vor.
»Wenn ich meinen Beruf aufgeben soll, hast du die Reise umsonst gemacht«, sagte sie.
»Deshalb bin ich nicht hier.«
Das überraschte sie.
»Ich möchte mich entschuldigen. Ich hätte mich nicht in dein Leben einmischen sollen.« Er ging auf sie zu. »Ich hatte keine Ahnung, wie begabt du für den Beruf bist, Lainey. Ich hatte immer gedacht, du schlägst deiner Mutter nach.«
Diese Worte gruben sich wie ein Messer in ihre Brust.
Er kam noch näher und blieb stehen. Er studierte ihr Gesicht. Hatte er sie je so genau angesehen? »Ich glaube, du kommst mehr nach mir.«
Sollte sie etwas sagen? Nach einer Weile fasste er in sein Jackett und zog einen Umschlag heraus.
»Hier ist ein Flugticket nach Washington«, sagte er. »Du hast am Mittwochnachmittag in Quantico ein Treffen mit dem Chef der Analyseeinheit. Dort ist eine Stelle frei geworden.«
Ungläubig starrte sie auf den Umschlag. »Aber dazu braucht man doch viel mehr berufliche Erfahrung.«
»Normalerweise schon«, sagte ihr Dad. »Aber diese Stelle ist speziell für junge Agenten. Sie wollen neue Ideen, Querdenker, Mitarbeiter, die ihre eigenen Wege gehen.«
Sie sah ihn misstrauisch an. Meinte er es ernst? Sie wusste es nicht.
»Du willst wahrscheinlich nicht bei mir übernachten. Deshalb habe ich für dich ein Zimmer im Westin Hotel in Alexandria gebucht.« Er gab ihr den Umschlag. »Das ist deine Chance.«
»Das ist meine große Chance.«
Er steckte die Hände in die Hosentasche und seufzte. »Du bist meine Tochter, Elaina. Wenn du selbst Kinder hast, wirst du mich verstehen.«
Die Worte von Valerie Monroes Vater kamen ihr wieder in den Sinn. Er hatte praktisch das Gleiche gesagt.
»Es ist selbstverständlich deine Entscheidung.«
»Selbstverständlich.«
Er beugte sich zu ihr und küsste ihre Stirn. Beinahe wäre sie zusammengezuckt. Und John McCord, Fachmann für Körpersprache und vieles andere, war das bestimmt nicht entgangen.
Er ging ein paar Schritte zurück und sah sich in Troys Garage um. Sein schwarzer Ferrari missfiel ihm offensichtlich. Wenn er jetzt ein Wort darüber verlieren würde …
Er hielt sich zurück. Stattdessen sagte er: »Pass auf dich auf, Elaina. Und teile mir deine Entscheidung mit.«
25
In ihrer nullachtfünfzehn-Wohnung saß Elaina auf dem Boden. Sie hatte den Rücken an ihr nullachtfünfzehn-Sofa angelehnt und studierte Papiere, die sie auf ihrem nullachtfünfzehn-Couchtisch ausgebreitet hatte.
Ich habe immer gedacht, du schlägst deiner Mutter nach.
Ein Leben lang hatte sie darauf gewartet, dass ihr ihr Vater offen und ehrlich seine Meinung sagte. Und jetzt, da er es getan hatte, zerriss es ihr beinahe das Herz.
Für eine Versagerin, einen Schwächling hatte er sie all die Jahre gehalten. Unfähig, sich auf ein Ziel zu konzentrieren und es bis zum Ende zu verfolgen.
Zum vierten Mal las sie denselben Abschnitt in dem Polizeibericht. Keine Anzeichen von gewaltsamem Eindringen. Keine Spuren, die auf einen Kampf hindeuten. Die Brieftasche des Opfers lag
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