Wer den Tod ruft: Thriller (German Edition)
Telefon.«
Ihr war trotzdem nicht wohl dabei. Elainas Kollege mochte Scarborough wahrscheinlich noch weniger als sie. Vielleicht wegen seiner purpurfarbenen Krawatten. Außerdem bevorzugte ihr Chef Untergebene, die ohne Fragen zu stellen ihren Dienst erledigten.
»Was ist passiert? Warum bleibst du?«
»Wahrscheinlich, weil alle wollten, dass ich gehe.«
»Tapferes Mädchen. Soll ich dich morgen abholen?«
»Nicht nötig. Ich bleibe wahrscheinlich übers Wochenende. Vielleicht bekomme ich etwas heraus.«
»Dann viel Glück. Bis Montag im Büro.«
Sie fühlte sich gestärkt. Wie immer, wenn sie mit Weaver gesprochen hatte.
Auch das Hotelzimmer hatte sich verändert. Es erschien ihr jetzt gemütlich, geradezu einladend. Mit dem richtigen Mann könnte sie hier ein paar schöne Stunden verbringen.
Ob Gina einen Mann mit hierher gebracht hatte? Hatte sie zu dem Typ Frauen gehört, die ihre Liebhaber in Bars aufgabeln? War sie eine Einzelgängerin gewesen? Die meisten Profiler konzentrierten sich auf den Täter. Elaina glaubte, vielleicht weil sie eine Frau war, dass das Opfer genauso wichtig ist. Wenn man das Opfer verstand, konnte man viel eher herausfinden, wie es zu der Begegnung mit dem Täter gekommen war.
Sie ging ins Bad und schaltete das Licht ein. In dem winzigen Raum gab es eine Sitzbadewanne. Der Boden war schwarzweiß gefliest. Sie sah sich im Spiegel über dem Waschbecken an. Einige Haarsträhnen hatten sich aus dem Knoten gelöst, ihre Wimperntusche war verlaufen. Wie schafften es Frauen, in diesem Klima Make-up zu tragen? Spätestens wenn sie morgens die Wohnung verließen, schmolz es doch dahin.
Sie wusch ihr Gesicht und bestellte nach kurzem Studium der Speisekarte, die sie auf dem Nachttisch gefunden hatte, per Telefon eine Pizza mit Peperoni und eine Zweiliterflasche Cola.
Das Zimmer sollte Aussicht aufs Meer haben, das hatte ihr der Portier gesagt. Sie zog die Vorhänge an der gläsernen Schiebetür zurück. Ihr Blick fiel auf das popelige Schloss. Gina Calvert durfte nicht sehr ängstlich gewesen sein.
Elaina streifte ihre Schuhe ab und ging nach draußen. Das Geräusch der brechenden Wellen lockte sie in den Innenhof. Der Halbmond war im Osten aufgegangen. Sie betrachtete ihn eine Weile. Dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück.
Weder am minderwertigen Schloss an der Schiebetür noch an dem am Badezimmerfenster hatte man Spuren von Beschädigung entdecken können. So stand es im Polizeibericht.
War der Täter über den Flur gekommen? Doch niemand vom Personal hatte ihn gesehen. Oder sie hatten ihn gesehen und es für sich behalten?
»Nein, er ist vom Strand gekommen.«
Elaina verschlug es den Atem. Sie griff nach ihrer Pistole.
3
Er trat ins Licht, und sofort wusste sie, wer er war.
»Troy Stockton«, sagte sie unfreundlich.
»Höchstpersönlich.« Sein Blick fiel auf die Glock. »Solange Sie mich mit dem Ding nicht wegblasen.«
Sie steckte die Pistole wieder in den Halfter. »Ich weiß, wer Sie sind. Sie haben über die Woodland-Morde in San Antonio geschrieben.«
Er lehnte lässig an der Wand neben der Tür. Er stand halb im Schatten, sie voll im Licht.
Mit ihrer offenen Bluse.
»Sie sind mir gefolgt«, sagte sie und knöpfte die Bluse wieder zu.
»Nee.« Er schob den linken Daumen durch die Gürtelschnalle und beobachtete sie.
»Woher haben Sie gewusst, dass ich hier bin?«
Er zuckte mit den Achseln.
Entweder war er ihr nachgestiegen oder jemand fütterte ihn mit Informationen. Nach seinem Beruf zu schließen, vermutete sie eine Kontaktperson bei der Polizei. Möglicherweise Maynard.
Sie starrte ihm unverhohlen ins Gesicht, aber er zeigte sich unbeeindruckt. Er stand einfach da, groß und breitschultrig; unter seinem schwarzen T-Shirt zeichneten sich seine Muskeln ab. So stellte man sich keinen Schriftsteller vor. Wo war die käsige Haut geblieben? Wo die Hornbrille, die er auf dem Foto auf dem Buchumschlag trug? Wahrscheinlich war sie nur ein Requisit gewesen, um die Illusion von wissenschaftlicher Seriosität zu erzeugen.
»Sie haben beschlossen, hierzubleiben«, sagte er.
»Ich bin wegen einer Obduktion hier.«
»Man hat Sie nicht dazugebeten.«
Sie verschränkte die Arme und lenkte seine Aufmerksamkeit nach draußen.
»Am Strand wird es gegen Mitternacht ziemlich ruhig«, sagte er. »Keine Lagerfeuer mehr, seit sie verboten sind. Höchstens ein paar Pärchen.«
Sie folge seinem Blick zum Ufer, wo die Wellen den Sand aufwirbelten. Im Mondlicht konnte sie eine
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