Wer einmal lügt
erkennt.«
Sutton zögerte.
»Harry?«
»Was ist?«
»Wie Ihnen vielleicht auffällt, spreche ich keine Drohungen aus. So erzähle ich Ihnen beispielsweise nicht, dass ich sie wahrscheinlich ausfindig machen, zu ihrem Haus fahren und dann den Nachbarn alles erzählen könnte. Ich sage auch nicht, dass ich eine Phantomzeichnung von ihr in die Zeitungen setzen lasse oder sonst irgendetwas.«
»Na ja, ich bin schon beruhigt, dass Sie Ihr Wort halten.«
»Ich habe keine Zeit für Spielereien, Harry. Wir könnten es mit einem Serienmörder zu tun haben. Ich werde mein Bestes tun, Cassie da rauszuhalten. Sie ist zurückgekommen, weil sie das Richtige tun wollte. Geben Sie ihr die Möglichkeit, dies zu Ende zu bringen.«
»Ich kann sie anrufen und fragen«, sagte Harry.
»Hier geht’s gerade drunter und drüber, daher muss ich in der Nähe des Reviers bleiben. Können Sie mit ihr herkommen?«
»Ins Revier? Das soll doch wohl ein Witz sein, oder?«
»Das geht schon in Ordnung.«
»Nein, geht es nicht. Wir treffen uns im Heritage Diner.« Das war nur einen Block vom Revier entfernt – zwar nicht perfekt, aber in Ordnung.
»Ich brauch sie da so schnell wie möglich.«
»Dann legen wir jetzt auf, damit ich sie anrufen kann«, sagte Harry. »Wenn Sie nichts mehr von mir hören, treffen wir uns in einer halben Stunde im Diner.«
Harry legte auf und wählte Cassies Handynummer. Nach dem dritten Klingeln nahm sie ab. »Hallo?«
Er hörte Geräusche im Hintergrund, die darauf hindeuteten, dass sie nicht auf der Heimfahrt war. »Wo bist du?«
»Im La Crème .«
Harry Sutton war nicht überrascht. Broome hatte es auch gemerkt. Es hatte noch andere Gründe für ihre Rückkehr gegeben, als einen Fehler zu korrigieren.
»Ich wollte dich gerade anrufen«, sagte sie.
»Aha?«
»Ich muss Broome noch etwas Wichtiges sagen.«
»Tja, dann passt das ja prima.«
»Wieso? Was gibt’s?«
Harry Sutton erzählte ihr von Broomes Anruf und seinem Wunsch, sich mit ihr im Heritage Diner zu treffen. »Ist dir das recht?«, fragte er.
»Ich glaub schon«, sagte Cassie. Es entstand eine kurze Pause. »Hast du irgendeine Idee, was auf diesem Foto zu sehen ist?«
»Nein, aber Broome findet es offensichtlich wichtig. Er sagte etwas von einem Serienmörder.«
Im Hintergrund lachten ein paar Männer. Harry wartete am Telefon.
»Cassie?«
»Gut«, sagte sie. »Wir treffen uns in einer Viertelstunde im Diner.«
Harry Sutton legte auf. Er drehte den Stuhl um und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster über die Stadt. Es klopfte an der Tür. Er sah auf die Uhr. Ziemlich spät. Für Mandanten hatte er heute Abend keine Zeit mehr, aber jemanden wegzuschicken war nicht seine Art.
»Herein!«, rief er mit der ihm eigenen Begeisterung.
Ein junges Paar, das absolut nicht hierher passte, öffnete die Tür und trat in sein Büro.
Das hübsche, blonde Mädchen sagte: »Guten Abend, Mr Sutton!«
Beide waren gut gebaut, ordentlich gekleidet und lächelten, und aus irgendeinem Grund – einem Grund, den Harry nicht benennen konnte und der, wie er bald erfahren sollte, auf primitiven Instinkten beruhte, die keineswegs trogen – verspürte Harry mehr Angst als je zuvor in seinem Leben.
DREIZEHN
M egan war immer noch im La Crème und spielte mit der Celeb Experience: Paparazzi for Hire -Visitenkarte herum. Sie drehte sie um und las wieder: Weak Signal Bar and Grill . Ihr Handy summte kurz, als eine neue SMS eintraf. Ein kurzer Blick verriet ihr, dass sie von Dave war:
WO BIST DU???
Sie überlegte, ob sie die SMS einfach ignorieren sollte, aber wenn sie das richtig bedachte, war das keine gute Idee. Auf die Dauer würde das nur noch mehr Probleme verursachen. Sie fragte sich, was sie machen sollte, was sie Dave jetzt schreiben könnte – und was sie Dave gezwungenermaßen irgendwann in den nächsten Tagen erzählen musste. Die Fassade, die sie vor langer Zeit errichtet hatte, um sich dahinter zu verstecken, war in den letzten Jahren mehr zu ihrem wahren Ich geworden als … ihr wahres Ich. Das bedeutete jedoch nicht, dass Dave dafür Verständnis haben musste.
Sie sah sich die einfache Frage noch einmal an. Wo bist du???
Fassade war, wie Megan wusste, nur ein politisch korrekter Begriff für eine Lüge. Bei ihrer ersten Begegnung in einer Hotel-Bar in Boston hatte sie Dave belogen. Das war nur ein paar Monate nach ihrer Flucht aus Atlantic City gewesen. Sie war alleine und verängstigt gewesen und hatte dringend Geld gebraucht. Sie
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