Wer einmal lügt

du mich herum wie ein Ehemann. Fahr los.«
    Lorraine hatte ein Bierglas unter dem Zapfhahn, als Broome auf sie zukam. Sie blickte auf und lächelte schräg. »Ich trau meinen Augen nicht.«
    »Hey, Lorraine.«
    »Willst du einen Drink, oder kommt jetzt der Klassiker, dass du im Dienst bist?«
    Broome setzte sich. »Ja, ich bin im Dienst. Und nochmal ja, schenk mir zwei Fingerbreit ein.«
    Sie zapfte das Bier fertig und schlenderte – Lorraine ging nie, sie schlenderte – in die Ecke der Theke, in der die hochwertigen Sachen standen. Broome drehte sich auf seinem Hocker. Am Büfett stand eine Schlange. Die Leute stellten sich tatsächlich an, um etwas von dem Zeug zu essen. Auf der Bühne tanzte ein Mädchen mit dem Elan einer Koma-Patientin. Der alte Neil-Diamond-Klassiker Girl, You’ll Be a Woman Soon lief über die Anlage.
    Lorraine gab ihm den Drink. »Kann ich etwas für dich tun, Detective?«
    »Willst du mal raten?«
    Lorraine zog eine Augenbraue hoch. »Ich nehme mal an, dass du nicht für eine zweite Runde hier bist.«
    »Wäre nicht schlecht.«
    »Lügner.«
    Broome wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, also fuhr er fort: »Ich hab mit deiner alten Freundin Cassie oder Megan oder wie immer du sie nennen willst gesprochen.«
    »Mhm.«
    »Das Ganze sieht ziemlich übel aus. Hast du das von Harry Sutton gehört?«
    Lorraine nickte, und ihre Miene verfinsterte sich. »Hast du ihn gekannt, Broome?«
    »Ein bisschen.«
    »Er war einfach großartig. Harry hatte so etwas an sich. Na ja, alle mochten ihn. Selbst ihr Cops. Weißt du, warum? Weil er echt war. Und er hat sich immer um die Leute gekümmert. Er war der großherzigste Mensch, dem ich je begegnet bin. Er hat einfach an die Menschen geglaubt. Hier haben ein paar Mädchen gearbeitet, die ich nicht ausstehen konnte. Natürlich hatten wir auch jede Menge normale Nervensägen, aber ein paar Mädels waren wirklich widerlich. Selbst bei denen hat Harry immer versucht, das Gute in ihnen zu finden. Und dabei wollte er ihnen wirklich helfen und nicht nur mit ihnen ins Bett – was er natürlich auch gern mitnahm, wenn es sich ergab. Und wer konnte schon einem Kerl widerstehen, der einen so anguckte – als ob man wirklich wichtig wäre, weißt du?« Lorraine schüttelte den Kopf. »Warum sollte jemand Harry etwas antun?«
    »Genau das will ich herausbekommen«, sagte Broome.
    »Klingt vielleicht übertrieben«, sagte sie, während sie die Theke mit einem Geschirrtuch abwischte, »aber mir kommt die Welt ohne ihn ein bisschen beschissener vor. Man spürt das einfach.«
    »Dann hilf mir, Lorraine. Für Harry.«
    »Meinst du etwa, ich wüsste was darüber?«
    »Das hängt alles irgendwie zusammen«, sagte Broome. »Harrys Tod ist nur ein Teil von etwas Größerem. Da sitzt jemand seit achtzehn Jahren vermutlich unschuldig im Gefängnis. Carlton Flynn wird vermisst, er ist aber längst nicht der Einzige. Es gibt noch viel mehr Tote oder Vermisste.«
    Er brach ab.
    »Einschließlich«, sagte Lorraine, die offenbar merkte, worauf er hinauswollte, »Stewart Green.«
    »Ja.«
    Lorraine wischte noch etwas länger an der Theke herum. »Dann hat Cassie dir erzählt, dass ich es war, die ihn gesehen hat.«
    »Ich habe sie praktisch genötigt, mir den Namen zu sagen.«
    Wieder lächelte Lorraine ihn schräg an. »Du bist ja echt ein harter Bursche, Broome.«
    »Sie wollte dich vorwarnen, aber ich wollte es dir selbst sagen.«
    »Wegen unserer gemeinsamen Vergangenheit?«
    Broome zuckte die Achseln und trank einen Schluck. »Hast du Stewart Green gesehen?«
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    Er sah sie an.
    »Ist ja schon gut«, sagte Lorraine. »Ja, ich habe ihn gesehen.«
    Zwei grauhaarige Männer stellten sich an die Theke. Der Größere beugte sich vor, blinzelte und sagte: »Hey, Lorraine. Wir nehmen das Übliche.«
    »Gehen Sie an die andere Theke«, sagte Broome.
    »Hä?«
    »Hier ist noch geschlossen.«
    »Sie sitzen doch auch hier oder was?«
    Broome zeigte ihnen seine Polizeimarke. Die beiden Männer überlegten kurz, ob sie Härte demonstrieren und die Diskussion fortsetzen sollten, ließen es dann aber. Sie drehten sich um und gingen.
    »Die beiden geben das meiste Trinkgeld«, sagte Lorraine.
    »Du findest bestimmt eine Möglichkeit, das wieder reinzuholen. Also, du sagst, du hast Stewart Green gesehen?«
    »Ja«, antwortete sie. Sie schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Er sah aber anders aus.«
    »Inwiefern?«
    »Völlig anders. Er hatte einen