Wer einmal lügt
kahlrasierten Kopf und einen Kinnbart. Außerdem trug er Kreolen-Ohrringe und hatte eine Tätowierung auf dem Unterarm. Als er hier war, hatte er Jeans und ein enges T-Shirt an, daher hat man gesehen, dass er offensichtlich Krafttraining macht.«
Broome runzelte die Stirn. »Stewart Green?«
Lorraine antwortete nicht.
Broome dachte an die Fotos auf Sarah Greens Kaminsims. Darauf trug Stewart entweder Khakis und Polohemden oder Businessanzüge. Über seine langsam kahl werdende Stelle am Hinterkopf hatte er ein paar dünne Strähnen gekämmt. Er wirkte insgesamt weich und etwas aufgedunsen.
»Wann hast du ihn gesehen?«, fragte Broome.
Lorraine fing an, mit zu großem Elan ein Glas zu polieren.
»Lorraine?«
»Ich habe ihn mehr als ein Mal gesehen.«
Das überraschte ihn. »Wie oft?«
»Ein paar Mal.«
»Was heißt ein paar Mal? Häufiger als zwei Mal? Häufiger als fünf Mal?«
»Ich weiß nicht«, sagte Lorraine. Jedweder Pep war verschwunden. Sie wirkte verängstigt. »Vielleicht ein Mal pro Jahr oder ein Mal alle zwei Jahre. So in der Art. Ich hab darüber nicht Buch geführt.«
»Einmal alle ein oder zwei Jahre?«
»Ja.«
In Broomes Kopf drehte sich alles. »Moment, und wann hast du ihn zum ersten Mal gesehen?«
»Ich weiß nicht. Ist schon eine Weile her. So vor zehn, fünfzehn Jahren.«
»Und du bist nie auf den Gedanken gekommen, die Polizei zu informieren?«
»Hä?«
»Du hast einen Mann gesehen, der vermisst wurde. Und du hast nie daran gedacht, uns das zu erzählen?«
»Und was genau hätte ich euch erzählen sollen?« Lorraine stemmte die Hände in die Hüfte und hob die Stimme. »War er ein gesuchter Verbrecher?«
»Nein, aber …«
»Und wofür hältst du mich? Einen Spitzel oder so? Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren in diesem Geschäft. Und man lernt schnell, dass man hier gefälligst nichts sieht. Das weißt du ganz genau.«
Sie hatte recht.
»Ich würde auch jetzt nicht mit dir reden, wenn nicht …« Lorraine wirkte plötzlich bedrückt und ernüchtert. »Harry. Wie konnte jemand Harry etwas antun? Hör zu, egal was sonst passiert, aber ich will nicht, dass noch mehr Leute sterben. Bei den Kunden hier interessiert mich nicht, was sie tun. Von mir aus können sie gegen sämtliche Gebote verstoßen. Aber wenn hier plötzlich Menschen sterben …«
Sie wandte sich ab.
»Wann hast du Stewart Green das letzte Mal gesehen?«
Lorraine antwortete nicht.
»Ich hab gefragt …«
»Vor ein paar Wochen.«
»Etwas genauer hätte ich es schon gern.«
»Es könnte um die Zeit herum gewesen sein, als dieser Flynn verschwunden ist.«
Broome erstarrte. »Lorraine, denk mal scharf nach: War er an Mardi Gras hier?«
»Mardi Gras?«
»Ja.«
Sie überlegte. »Ich weiß nicht. Schon möglich. Wieso?«
Broomes Herz schlug schneller. »Es geht noch weiter: Wenn du ihn in all den Jahren gesehen hast, könnte das auch jeweils an Mardi Gras gewesen sein?«
Sie verzog das Gesicht. »Keine Ahnung.«
»Das ist wichtig.«
»Wie zum Teufel soll ich mich denn an so was erinnern?«
»Überleg doch mal. An Mardi Gras verteilt ihr doch Perlenketten, oder?«
»Und?«
»Versuch dich zu erinnern. Du weißt doch noch, dass Stewart Green Kreolen-Ohrringe trug. Also schließ die Augen. Stell dir vor, wie er aussah. Hat er vielleicht Mardi-Gras-Perlen getragen?«
»Ich glaub nicht. Aber ich erinnere mich einfach nicht daran.«
»Schließ die Augen und versuch es.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Mach schon, Lorraine. Das ist wichtig.«
»Okay, ich mach ja schon.« Er sah, dass ihr Tränen in die Augen traten. Sie schloss sie schnell.
»Und?«
»Nein.« Sie sprach leise. »Tut mir leid.«
»Alles klar?«
Sie blinzelte und öffnete die Augen. »Mir geht’s gut.«
»Kannst du mir sonst noch irgendwas über Stewart Green sagen?«
Sie sprach immer noch leise. »Nein. Ich muss wieder an die Arbeit.«
»Moment noch.«
Broome ließ sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen. Ihm fiel etwas ein: Erin hatte die Überwachungsvideos. Dadurch waren sie erst auf die Verbindung zu Mardi Gras gekommen. Also konnte Erin sie ansehen und nach dem Mann suchen, den Lorraine beschrieben hatte. Er überlegte, ob er Lorraine mit ins Revier zu Rick Mason schleppen sollte, damit der ein Phantombild zeichnen konnte. Aber Mason war auch ein Experte für Alterungssoftware. Broome konnte ihm ein paar alte Fotos geben, die er unter Berücksichtigung der neuen Informationen – rasierter Kopf und Kinnbart –
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