Wer einmal lügt
angerufen. Sie hat gekündigt.«
»Und Sie denken, ich hätte etwas damit zu tun?«
»Haben Sie nicht?«
»Vielleicht hat ihr das Gespräch die Augen geöffnet. Sie wissen schon, dazu kommen noch die Schläge, die Carlton Flynn ihr verpasst hat, dieses Drecksloch von Arbeitsplatz und solcher Kram.«
»Glaub ich nicht.«
»Wieso nicht?«
»Tawny hat mit einem anderen Mädchen von mir zusammengewohnt. Die meinte, Tawny hat ihre Sachen in einen Koffer gestopft und ist abgehauen. Sie soll dabei ausgesehen haben, als ob ihr jemand ein frisches Peeling verpasst hätte.«
»Wer?«
Rudy schaufelte sich die M&Ms in den Mund. »Ich hab an Sie gedacht.«
Broome runzelte die Stirn. »Wo ist Tawny jetzt?«
»Weg. Mit dem Bus.«
»Schon?«
»Yep. Gestern Nacht. Sie hat vom Busbahnhof aus angerufen und gekündigt.«
Broome überlegte. Vielleicht war es nur das, was er anfangs gesagt hatte. Diese Mädchen waren nicht unbedingt die Stabilsten, wenn es irgendwo Probleme gab. Sie war vorher schon verletzt. Ihr Finger war gebrochen. Ihr gewalttätiger Quasi-Liebhaber war verschwunden. Ein Bulle hatte sie vernommen. Wahrscheinlich hatte sie einfach beschlossen, der Sache ein Ende zu setzen und nach Hause zu fahren.
»Dieses Mädchen, das mit Tawny zusammenwohnt«, sagte Broome.
»Ist nicht da. Und sie weiß auch nichts.«
»Rudy, das ist ein wirklich schlechter Zeitpunkt für so etwas. Kommen Sie mir jetzt nicht komisch.«
Rudy seufzte. »Beruhigen Sie sich. Sie kennen mich doch, ich bin ein echter Musterbürger. Ich hol sie her, aber bis dahin …«, mit einer Geste deutete er zur Tür hinter Broomes Schulter, »… meine beste Angestellte ist gerade angekommen. Pünktlich wie immer. Sie kommt nie zu spät.«
Broome drehte sich um und sah, dass Lorraine auf dem Weg zu ihrem Platz hinter der Theke war.
»Hey, Broome.«
Er drehte sich wieder zu Rudy um. Seine Miene hatte sich verändert. Die Maske, die Rudy für seine Gespräche mit Polizisten gerne aufsetzte, war verschwunden.
»Sie ist was Besonderes. Lorraine meine ich. Ist klar, oder?«
»Was wollen Sie damit sagen, Rudy?«
»Wenn das, was Sie tun, dieser Frau schadet …«, wieder deutete Rudy dahin, wo Lorraine gerade ihre Theke abwischte, »… ist es mir scheißegal, was für eine Marke Sie haben. Man würde einfach nicht mehr genug von Ihnen zusammenbekommen, um damit einen DNA -Test durchzuführen.«
FÜNFUNDZWANZIG
K urz vorher war Ken auf die Veranda geschlichen und hatte seinen Posten an der Schiebetür eingenommen. Barbie war durch die Garage gegangen – als Rückendeckung, falls die Verandatür verschlossen sein sollte. Das stellte sich aber als überflüssig heraus. Die Schiebetür war offen. Ken schob sie leise weiter auf. Gerade wollte er hineingehen, als es an der Tür klingelte.
Er schlüpfte wieder nach draußen und duckte sich. Broome, der Cop aus Atlantic City, trat durch die Eingangstür.
Ken wollte fluchen, tat das aber nicht, weil er nie fluchte. Stattdessen benutzte er sein Lieblingswort für solche Situationen: »Rückschlag.« Mehr war es nicht. Man beurteilte einen Mann nicht danach, wie oft er niedergeschlagen wurde, sondern danach, wie oft er wieder aufstand.
Er schickte Barbie eine SMS , dass sie bleiben solle, wo sie war. Dann versuchte er, das Gespräch zu belauschen, was aber zu riskant war. Egal. Ken blieb unten und damit unsichtbar. Im Garten der Pierces standen feudale Brown-Jordan-Möbel. In der Ecke befand sich ein Springbrunnen, etwas weiter hinten ein Fußballtor in Originalgröße und eine Schaukel aus Zedernholz, die ihre besten Tage hinter sich hatte. Es war wirklich ein sehr schönes Haus. Ken fragte sich, was diese scheinbar normale Frau und Mutter mit dem Verschwinden von Carlton Flynn zu tun haben könnte, aber um das herauszubekommen war er ja schließlich hier.
Er wartete. Er dachte an Megan Pierces Kinder. Er hatte es beinah vor Augen, wie sie den Ball in das Fußballtor kickten, auf den Möbeln herumlungerten oder einen Burger von dem Weber-Grill aßen.
Er überlegte, wie sich das Leben des Hausherrn gestaltete. Kinder. Familienfeiern. Grillabende. Sonntagsgottesdienste. Seine hübsche Frau lächelte ihm durch die Verandatür zu, während er seinem Sohn das Baseballspielen beibrachte. Ken wollte auch so ein Leben führen. Und er wollte es, wie ihm gerade bewusst wurde, mit Barbie zusammen führen. Er sah es fast vor sich, wie sie an diesem Fenster stand und ihm liebevoll zulächelte. Er sah, wie sie die
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