Wer fuerchtet sich vor Stephen King
nimmt keine Rücksicht auf die Gefühle seiner Leser: Die Langoliers sind in letzter Konsequenz wohl die grausigsten Monster, die er je geschaffen hat, und nicht jeder liebgewordene Protagonist überlebt die Handlung.
Erinnert diese Handlung später in den Grundzügen an „The Mist“, so stellt die zweite Novelle, „Das heimliche Fenster, der heimliche Garten“ gewissermaßen eine Aufarbeitung unter anderem Blickwinkel von Kings letztem Roman STARK – THE DARK HALF dar. Hauptperson ist ein Schriftsteller, dem ein kauziger Fremder vorwirft, eine seiner Geschichten gestohlen zu haben. Nur, dass der Schriftsteller beweisen kann, dass dem nicht so ist. Sehr bald entwickelt sich ein mörderischer Kampf, der völlig außer Kontrolle gerät, bevor die Novelle dann mit einer Pointe ihr entsetzliches Ende nimmt.
Verarbeitete King mit dieser Geschichte vielleicht einen persönlichen Alptraum, so basiert „Der Bibliothekspolizist“ auf einem kollektiven Alptraum amerikanischer Kinder, denen man schon in frühester Jugend damit droht, der Bibliothekspolizist werde kommen und sie bestrafen, wenn sie die entliehenen Bücher nicht termingerecht zurückgeben. Wie King im Vorwort zu dieser Novelle ausführt, machte er sich nur mit diesem Schreckensbild aus seiner Kindheit im Hinterkopf ans Verfassen der Novelle. Man merkt es ihr deutlich an: Erst nach vielleicht vierzig, fünfzig Seiten bekommt sie eine haarsträubende Wendung, und das nackte Entsetzen schimmert durch, allerdings weniger vor dem Bibliothekspolizisten als vor einer Bibliothekarin selbst, die sich als das Böse in Person entpuppt, als eine Art Seelenvampir, der von der Angst lebt, vorzugsweise der Angst kleiner Kinder …
Die letzte Novelle schließlich, „Zeitraffer“, ist als Prolog zu Kings nächstem Roman, NEEDFUL THINGS, zu sehen, in dem er dem Schauplatz zahlreicher Geschichten, der Kleinstadt Castle Rock, einen furiosen Abgang bereitet. Ein Junge bekommt zum Geburtstag einen Fotoapparat geschenkt, der Bilder aus einer anderen Welt zeigt, Bilder eines Höllenhundes, der dem Fotografen von Bild zu Bild immer näher kommt … bis er schließlich zum Sprung und die Geschichte zu einem furiosen Finale ansetzt. Wenngleich die Herkunft des Fotoapparates nicht geklärt wird, ist die Geschichte doch in sich geschlossen und stimmig konzipiert.
Man sollte diese vier Novellen wirklich nach Mitternacht lesen, zu der Zeit, von der Stephen King gesagt hat, dass man in ihr für das Übersinnliche am empfänglichsten ist. Vier Novellen, die zwar das Genre nicht weiterentwickeln, aber durchgehend beweisen, dass Stephen King nichts verlernt hat und seine Leser noch immer mühelos fesseln kann.
Der Appetit, den King mit „Zeitraffer“ weckte, wird vom nachfolgenden Roman, IN EINER KLEINEN STADT (NEEDFUL THINGS, 1991), mehr als nur gestillt. Dieser Roman ist der erste Höhepunkt der fünf neuen Viking-Bücher und einer der besten Romane Kings überhaupt. King spricht den Leser direkt an: „ Sie waren schon einmal hier … nicht unbedingt in einer kleinen Stadt in Maine namens Castle Rock, aber in einer anderen, in der ein Laden namens Needful Things aufmachte, oder auch namens Answered Prayers . Sie haben sich in diesem Laden umgesehen und etwas gefunden, was Sie schon immer, unbedingt, auf alle Fälle, haben wollten, koste es Sie, was es wolle. Und Sie waren überrascht, als der Besitzer des Ladens – hieß er auch Leland Gaunt, oder anders, etwa Randall Flagg; vielleicht sind die beiden sogar verwandt, es würde einen nicht überraschen, oder? – gar nicht so viel für diesen einzigartigen, wunderbaren Gegenstand verlangte. Nur … einen kleinen Haken hatte die Sache. Mit Geld allein war es nicht getan. Sie mussten Mr. Gaunt noch einen kleinen Gefallen erweisen, etwa, jemandem einen harmlosen, unbedeutenden Streich spielen: verstohlen einen Brief deponieren, frisch gewaschene Bettücher mit Lehm bespritzen oder einen kleinen Hund töten. Und irgendwie scheint Mr. Gaunt genau zu wissen, wer welche Schwäche hat, wer welchen Gegenstand besitzen will, und … wer gegen wen im Ort Groll hegt, wer mit wem noch eine Rechnung offen hat, wo er den Hebel ansetzen muss, damit alles eskaliert, langsam, aber stetig … und es zum großen Knall kommt und Castle Rock wohl auf lange Zeit Ruhe finden wird, oder die kleine Stadt, in der Sie leben und den Laden namens Needful Things betreten. Denn wenn Sie den Laden einmal betreten haben, gibt es kein Zurück mehr. Dann gehören
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