Wer fuerchtet sich vor Stephen King
ermittelt konventionell in einem Kriminalfall. Der Roman selbst ist allerdings alles andere als konventionell geschrieben und stilistisch und handwerklich höchst interessant. King und Straub halten praktisch einen Schreibkurs für Fortgeschrittene ab. Sie arbeiten mit der Perspektive des allwissenden Erzählers, stellen dem Leser die Charaktere vor und verraten ihm damit Dinge, die Jack nicht weiß. Sie schreiben in der dritten Person Gegenwart, stellen das Setting ausführlich vor, widmen ein Kapitel gar Edgar Allan Poes „Raben“. Und dann, auf Seite 107, „finden wir endlich den ehemaligen Lieutenant der Mordkommission im Los Angeles Police Department – Jack Sawyer.“
„Endlich!“, möchte der getreue Leser erleichtert flüstern, der sich dann im Verlauf der nächsten 700 Seiten deutlich weniger in die Welt der Territorien einfinden muss als in die des „Dunklen Turms“, in die der Roman eingebettet ist.
Man könnte den Eindruck haben, als hätten die Autoren dieses Buches sich gesagt: Wir zeigen dem Leser jetzt mal, was wir können – und was richtige Literatur ist! Sie ziehen alle Register, bemühen sich mehr als redlich, doch der Roman liest sich zunächst zäh; er ist sicher stilistisch gekonnt und anspruchsvoll geschrieben, wirkt aber gekünstelt. Weil der Erzähler des Romans (fast) allwissend ist, geht ein Gutteil der Spannung der konventionellen Handlung, der Ermittlungen in einem Kriminalfall, verloren. Doch die scheinen King auch nicht besonders zu interessieren; sein Anliegen ist die Verknüpfung des Territoriums und unserer Welt mit der des Dunklen Turms. Die Handlung wendet sich schließlich hauptsächlich dem Dunklen Turm zu, was den „harten“ King-Leser begeistern, den Gelegenheitsleser aber vor gewisse Probleme stellen wird.
„Das Ganze ist ohnehin schon schwierig genug“, heißt es auf Seite 597 selbstkritisch. Fürwahr. Die „kleinen Schwestern von Eluria“ werden erwähnt, der „Oberbrecher“ Ted Brautigan, der in ATLANTIS von den „niederen Männern“ in gelben Mänteln entführt wurde, und zahlreiche andere „Bewohner“ der Welt von King zentralem Werk. Als Einstieg ist der Roman völlig ungeeignet, doch die Fans des Dunklen Turms wird er begeistern – nachdem sie sich durch die ersten 100 Seiten gekämpft haben, nach denen die Handlung dann rasant Fahrt aufnimmt. Zumal der Killer Fisherman auf die Frage, wer er sei, dieselbe Antwort gibt wie Andre Linoge in DER STURM DES JAHRHUNDERTS: „Mein Name ist Legion, und wir sind viele.“
Stephen King ist also noch immer für eine Überraschung gut. Es ist erstaunlich, wie den Autoren der Wechsel vom ersten Teil, einem phantasievollen Jugendbuch, zum zweiten gelingt, einem harten und teilweise sehr brutalen Horrorroman.
Kings nächster Roman – DER BUICK – ist wieder wesentlich einfacher gestrickt und sehr gradlinig erzählt. Im Sommer 2002 kommt der 18-jährige Ned Wilcox dem Geheimnis eines Buick auf die Spur, der 1979 an einer Tankstelle in Pennsylvania auftauchte. Der Fahrer, ein Mann in einem schwarzen Mantel, verschwand spurlos. Der Wagen ist sehr ungewöhnlich: Mit seinem Motor könnte er keinen Meter weit fahren, und er repariert selbständig jeden Schaden, selbst den kleinsten Kratzer im Lack. Die Troop D der Staatspolizei von Pennsylvania, der auch Neds Vater angehörte, verbarg den Wagen in einem Schuppen und versuchte herauszubekommen, worum es sich bei ihm wirklich handelt.
Schon bald stellt sich heraus, dass der Buick ein Tor zu einer anderen Welt ist, einer prähistorischen, lebensfeindlichen, bevölkert von Lovecraft’schen cthulhuiden Monstern (die vielleicht aus „Der Nebel“ entsprungen sein könnten). Unter seltsamen Lichterscheinungen schickt er Menschen in jene Welt oder holt Lebewesen aus ihr in unsere. Zeitgleich geschehen stets schwere Unglücke: Ein mit Chlor gefüllter Tanklaster explodiert in der Nähe einer Schule, oder ein Betrunkener fährt Neds Vater im Dienst tot. Ned kommt zum Schluss, dass in Wirklichkeit dieser Wagen seinen Vater getötet hat (was in gewisser Weise auch stimmt, er schlug eine Beförderung aus, um in der Nähe des Buick bleiben zu können), und will sich in die andere Welt versetzen lassen, um alles zu töten, was er dort sieht. Ein Polizist hält ihn zurück; die beiden werfen zwar einen Blick in jene Welt, können ihr Geheimnis aber nicht ergründen.
Kurz darauf zeigen sich erste Beschädigungen an dem Buick, und Ned geht davon aus, dass der Wagen nun
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